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La Chapelle-dAngillon

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Schauplatz eines großen Romans

LA CHAPELLE-D´ANGILLON (18380)

Obwohl auch Chapelle-d´Angillon, 14 km südlich von Aubigny, über die Landstraße mit den großen Städten der Region verbunden ist, scheint hier die Zeit still zu stehen, der Geist des Großen Meaulnes aus dem Roman Alain-Fourniers immer noch lebendig. In diesem Ort stoßen wir auf ein verwunschenes Schloß, das auch die freie Grafschaft von Boisbelle und die Erinnerung an Sully, die Prinzessin von Clèves, den albanischen Exilkönig und sogar Tintin immer noch zu beleben scheinen. La Chapelle-d´Angillon gleicht in dieser Beziehung einem Märchenland.

Die schöne Geschichte vom »Großen Meaulnes«

Ehe der Große Meaulnes zum untröstlichen Freund oder romantischen Liebhaber unzähliger Schüler und Schülerinnen wurde und nach dem Fremden von Camus zum meistgelesenen französischen Roman mit beinahe 3,7 Millionen verkauften Exemplaren avancierte, hieß er Henri-Alban Fournier – der wirkliche Name des Autors – und lebte in diesem verlorenen Nest in der Sologne des Berry. Seine Eltern, beide Lehrer, schicken ihn zum Studium nach Paris, später nach Brest. Aber er sehnt sich nach seiner Heimat und kehrt nach Bourges zum Studium der Philologie zurück. Acht Jahre lang ist er unsterblich in ein junges Mädchen, das ihm einmal in Paris über den Weg lief, verliebt. Sie wird zur Heldin seiner Träume, aus denen sich langsam ein Meisterwerk herausbildet, das kurz nach der zweiten Begegnung mit seiner Muse veröffentlicht wird. Dann bricht der Erste Weltkrieg aus und der Autor, der seinen Roman mit Alain-Fournier signierte, stirbt im Schützengraben. Sein Leichnam, der von einem der zahlreichen Anhänger des Großen Meaulnes mit demselben Eifer gesucht wird wie dem der Hauptfigur im Roman auf den Spuren ihrer Geliebten, wird erst im Jahre 1991 gefunden.

Und noch etwas Geschichte

Lange bevor La Chapelle-d´Angillon als Heimat des Großen Meaulnes von sich Reden machte, befand sie sich schon im Gebiet eines freien Zwergstaates, der Grafschaft von Boisbelle, deren Schloß die Verteidigung gewährleistete. Wie heute Monaco und Andorra genoß die Grafschaft eine seltene Unabhängigkeit, die bis ins neunte Jahrhundert zurückreichte und von den französischen Königen bis ins 18. Jh. unangetastet blieb.

Eine Reihe historischer Persönlichkeiten standen dem Zwergstaat vor und residierten im Schloß von La Chapelle-d´Angillon. Zu ihnen gehörte Diane de la Marck, die der Prinzessin von Clèves als Modell diente. Somit spielt ein Teil des Romans von Madame de La Fayette, der als erster Roman in französischer Sprache gilt, in La Chapelle-d´Angillon. Auch Sully prägte diesen Ort. Als Herr von Boisbelle ließ er die Stadt Henrichemont errichten, die Hauptstadt der Grafschaft werden sollte (s. das Kapitel über Henrichemont). Heinrich IV. verbrachte so einige Zeit in La Chapelle-d´Angillon zur Überwachung des Vorhabens seines Ministers.

Heute entscheidet der Graf von Ogny über die Geschicke des Schlosses und beabsichtigt dessen bewegte Vergangenheit am Leben zu erhalten. Er richtete hier nicht nur ein Musée Alain-Fournier ein mit Hilfe von bedeutenden Schriftstücken, die gerade noch den Japanern weggeschnappt werden konnten, sondern sammelte auch die Erinnerungsstücke seines Freundes Leka I., Exilkönig aus – Albanien. Ein komischer Einfall? Jedenfalls geht der Schloßherr ganz unorthodox vor: er organisierte auch umfangreiche Ausstellungen über seine beiden, nun gar nicht ehrwürdigen Lieblingshelden Lucky Luke und Tintin.

Sich umschauen

Im Dorf obligatorische Gedenkminute vor dem Geburtshaus Alain-Fourniers an der Nationalstraße. Der Vater und Doppelgänger des Großen Meaulnes erblickte hier im Jahre 1886 das Licht der Welt. Seither hat sich das Haus stark verändert, und die Erinnerung an seinen illustren Bewohner ist vollständig untergegangen.

Die Kirche: hier wurde der kleine Henri-Alban Fournier getauft. Eine Marmortafel rechts hinter dem Eingang erinnert daran, dass der Schriftsteller wie andere »Kinder« des Dorfes 1914 an der Front getötet wurde.

Die Kirche besitzt zwei weitere Besonderheiten: eine Heiligenstatue überragt sie, und der Wetterhahn auf dem Glockenturm hat – was selten vorkommt – Füße. Eine kleine Geschichte: der aufmerksame Besucher erfährt, dass nach einer alten Tradition im Berry ein bestimmter Taufritus eingehalten werden mußte: Eltern und Paten umarmten sich, damit das Kind kein Stotterer wurde.

– Das Schloß: am Dorfrand. Tel.: 48 73 41 10, Fax: 48 73 46 66, chapelledangillon@chateaux-france.com. Ganzjährig geöffnet täglich von 9-12h und von 14-20h. Führungen.

Das Schloß, ein mächtiges, um einen Hof angelegtes Gebäude, wurde in seiner Geschichte wiederholt umgebaut, insbesondere unter der Regentschaft Sullys. Dennoch bleibt ein Rest der ursprünglichen Festung: der massive Turm aus dem 11. Jh. gilt als der älteste im Département. Die Führung untergliedert sich in verschiedene Teile:

– Vorführung von zwei Dokumentarfilmen (insgesamt fünfundzwanzig Minuten): einer behandelt die tausendjährige Geschichte des Schlosses, der andere Alain-Fournier und das künstlerische Schaffen um die Jahrhundertwende.
– Schloßbesichtigung: zu begutachten sind ein stilvoller Salon aus dem 17. Jh. mit alten Möbeln, das Schlafgemach des Königs (Ludwig XIV. soll hier geschlafen haben), etc.
– Ausstellung der Königlich Albanischen Stiftung: der Exilkönig hat dem Eigentümer des Schlosses Teile seiner Privatsammlung als Leihgabe zur Verfügung gestellt: Säbel, Stickereien, seltene Jacken, etc.
– Musée Alain-Fournier: einige Schriftstücke des sowie Erinnerungsstücke an den Autor des Großen Meaulnes.
– Den Besuch rundet eine kostenlose Weinprobe ab: der Graf von Ogny bietet seinen Gästen ein Glas Menetou-Salon (ein guter Regionalwein) an sowie Sandgebäck aus Nançay.