Geschichte
Das Anjou
ANGERS (49000)
»Angers schlummert mit seinen Bäumen,
seinem Schloß mit den Türmen rund wie Rohre,
seinen Erinnerungen an den König,
seinen mit Blumenteppichen gesäumten Uferpromenaden
seinen geheimnisvollen Häusern,
deren Fassaden zu blättern beginnen ...
Paul Nizan.
Lieber Paul Nizan, wenn du wüßtest, dass Angers heute eher erwacht, und ein breit angelegtes Sanierungsprojekt den Fassaden ihre Farbe zurückgegeben hat. Dort entblättert sich kaum noch anderes als die Schuppen der Fische der Loire in den renommiertesten Restaurants Angers. Und doch handelt es sich nach wie vor um eine friedliche Stadt, und die Sommerabende, darin stimmen wir bei, sind lau, die Atmosphäre ist gedämpft. Es stimmt, dass Angers Ausschweifungen verabscheut.
Dies ging im übrigen seinerzeit Julien Gracq auf die Nerven und er ließ es sich nicht entgehen, »diesen engstirnigen, abseits des Flusses gewählten Ort, die Gassen voll schläfriger Katzen, in denen man früher höchstens und in großen Abständen einen Priesterrock flattern sah« zu verspotten. Die schläfrigen Katzen machen sich heute jedoch rar, vielleicht wegen der Ausrufe des Staunens vor dem Wandteppich der Apokalypse oder dem Gesang der Welt von Lurçat oder auch den wunderbaren Werken David d´Angers, die an einem der geeignetsten Orte überhaupt ausgestellt sind. Angers mit seinem reichen Kunsterbe weiß jeden zu verführen. Die Krönung ist eines der bekanntesten Theater- und Kulturfestivals im Juli.
Etwas Geschichte
Wie viele französische Städte war auch Angers eine blühende römische Siedlung namens Juliomagus. Aus dieser Zeit ist jedoch nichts mehr erhalten. Dagegen sind noch einige Mauerreste der Stadt, die sich im 5. Jh. zum Schutz vor dem Einfall der Wikinger befestigen mußte, zu sehen. Im 9. und 10. Jh. wurde Angers dann von diesen geplündert und sogar ein Jahr lang besetzt gehalten. Vom 10.-13. Jh. kannte Angers unter den Herzögen Foulques (einer wurde selbst König Jerusalems) und später den Plantagenets eine neue Blütezeit. Heute zeugen hiervon noch einige glanzvolle Baudenkmäler wie im »Quartier de la Doutre«, das im 11. Jh. um die Abtei von Ronceray entstand. In dieser Epoche war Angers stilführend (das angevinische Gewölbe, der Plantagenetstil).
Nach dem Tod des Richard Löwenherz belagerte sein Bruder Johann Ohneland, der das Erbe anfocht, Angers. Wenige Jahre später setzte die Rückeroberung der Region durch Philipp August ein, welche der Herrschaft der Plantagenets ein Ende setzte. Im 13. Jh. ließ der heilige Ludwig das berühmte Schloß erbauen. Unter Ludwig X. wird die Stadt den französischen Kronlanden angegliedert, um Engländern und Bretonen die Stirn zu bieten. Erst in der Renaissance erlebt Angers ein neues goldenes Zeitalter, diesmal auf literarischem und wissenschaftlichem Gebiet mit Rabelais, Ambroise Paré, Joachim du Bellay und im Bereich der Architektur mit dem Bau zahlreicher, herrschaftlicher Stadthäuser. In dieser Zeit erhält es auch den Spitznamen Athen des Westens. Eine beträchtliche Zahl an Universitäten und Schulen werden in der Stadt gegründet. Heute lehrt hier eine der bedeutendsten, katholischen Universitäten Frankreichs.
Im 17. und 18. Jh. entfaltet sich mit der Herstellung von Segeltuch und Seilen eine beachtenswerte, wirtschaftliche Aktivität. Der Hanf kam von den Feldern der unmittelbaren Umgebung. Auch der Export von Schiefer im Umland trug zum Reichtum der Stadt bei. Die französische Revolution hatte jedoch fatale Auswirkungen für Angers. Im revolutionären Trubel verschwanden fast alle der fünf Abteien, siebenundzwanzig Klöster und beinahe fünfzig Kirchen. Während der konterrevolutionären Aufstände in der Vendée blieb die Stadt heiß umkämpft. Zunächst war sie mehrheitlich republikanisch. Danach besetzten einige Monate die Weißen die Angers. Unter Robespierre folgte eine unerbittliche Schreckensherrschaft, bei der die Guillotine nicht zum Stillstand kam.
Im 19. Jh., selbst in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts, ging die industrielle Revolution an der Stadt vorbei. Gracq und Nizan hatten nicht ganz unrecht mit ihrem Sarkasmus angesichts ihrer Lethargie. Die furchtbaren Bombardements im Zweiten Weltkrieg veränderten die Lage nicht gerade zum besseren. Allerdings läßt sich sagen, dass Angers seit den sechziger Jahren kräftig aufgeholt hat: demographischer Zuwachs, Ansiedlung von Spitzentechnologie: »«Bull«, »Motorola«, »Thomson«, ein nationales Institut für agronomische Forschung, etc.