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Angers

Sehenswertes

Wandteppich der Apokalypse - Beschreibung

Natürlich ist es uns nicht möglich, den Teppich in allen Einzelheiten zu beschreiben. Wir geben daher nur einige Kostproben und beschränken uns auf das Wesentliche. Am Kopfende der einzelnen Teile befindet sich jeweils eine vertikale Tapisserie mit einer bedeutenden Persönlichkeit. Im Schilderhaus bzw. dem Wachturm ist der heilige Johannes mit unterschiedlichem Gesichtsausdruck abgebildet. Wir haben auch nicht jeden Tag dieselbe Laune!

– Im ersten Teil scheint uns die dargestellte Person geradezu zur Betrachtung einzuladen. Obere Bahn Nr. 3: Christus mit dem Schwert als Zeichen der Gerechtigkeit und Johannes zu seinen Füßen. Dieser wird später die Offenbarungen der Apokalypse erfahren. Seltsam mutet der Christus mit einem Messer zwischen den Zähnen an – dies läßt an die antibolschewistischen Karrikaturen der zwanziger Jahre denken. Christus wurde ja nicht selten als der erste Kommunist bezeichnet. Nr.4: die vierundzwanzig Ältesten der Apokalypse und die vier Evangelisten, die in den Tympanons aller Kirchen wieder auftauchen. Nr. 7: das geschlachtete Lamm, Symbol des für die Menschen gestorbenen Erlösers. Ihm folgen im unteren Teil die berühmten apokalyptischen Reiter. Nr. 9: der Reiter mit dem weißen Roß (Symbol des Sieges). Die Bahn Nr. 10, das Roß rot wie Feuer und der Krieg, wurde leider nicht wiedergefunden. Ein Appell an unsere Leser! Nr. 11: der Hunger und das schwarze Roß – das in Wirklichkeit eher braun ist, aber was soll´s. Die leere Waage steht für die Getreidenot. Er st au nlich, dass gerade diese Bahn, welche die Trostlosigkeit symbolisieren soll, eine der reichsten an Pflanzenfarbe ist. Nr. 12: der Todesreiter, die Hölle: der Teufel wirft die armen Sünder in die Flammen, als ob es sich um eine Moulinex handele.

– Zweiter Teil: Bahn Nr. 14 zeigt die sieben Posaunen der Offenbarung, welche das Unheil verkünden. Auf Nr. 15 ist ein Engel, der sein Rauchfaß entzündet, zu sehen; Nr. 16 stellt einen weiteren Engel dar, der die Erde in Brand steckt, da der Himmel wütend ist (Feuerspeier). Auf Nr. 17 stößt der erste Engel in die Posaune und verkündet Hagel und Feuer (verbrannte Blätter). Es folgen der unheilbringende Adler und die zerstörte Stadt (Nr. 20). Danach fällt der Stern namens Wermut auf die Erde und vergiftet die Flüsse (Nr. 19). Nr. 18 zeigt den zweiten Engel, der in die Posaune stößt, und der dritte Teil der Schiffe geht zugrunde: eine kunstvoll ausgeklügelte Darstellung. Danach die Reiterscharen, welche die Sünder vernichten (Nr. 23). Kurioserweise besitzen die Pferde Löwenköpfe. Angesichts diesen grausamen Schauspiels vollzieht der heilige Johannes eine Geste des Schreckens. Die obere Bahn: die Heuschreckenplage (Nr. 21). Diesmal hat sich der heilige Johannes vor ihr in seinen Erkerturm geflüchtet. Darunter (Nr. 24) der Engel mit dem Buch: es enthält die folgenden Qualen, während der Regenbogen über seinem Haupt die Barmherzigkeit Gottes symbolisiert. Daneben (Nr. 25) wird der heilige Johannes gar zum Papierfresser: er verschlingt besagtes Buch, um es besser zu verinnerlichen. Unsere Leserinnen und Leser sollten es ihm nicht gleichtun.

– Dritter Teil: auf den Bahnen Nr. 28, 29, 30 und 31 zwei mit der Verbreitung des Wortes Gottes beauftragte Zeugen. Die Menschen machen sich über sie lustig. Sie werden getötet. Einer von ihnen speit Blut aus dem Mund. Der Schadenfreude der Schaulustigen vor den Leichnamen folgt die anschließende Auferstehung der beiden Zeugen. Nr. 34 ist eine der gelungensten Darstellungen, die sich durch den harmonischen Rhythmus der Engel und ihrer Lanzen, mit denen sie den Drachen bekämpfen auszeichnet. Nr. 36 zeigt meisterhaft den Drachen, der seine Übeltaten wie einen Strom aus dem Rachen speit: feingearbeitete Wasserstrahlen. Die folgende Szene (Nr. 37) trägt als einzige die Initialen Ludwig von Anjous und Marie de Blois ( mit einem M verschlungenes L).

– Vierter Teil: ein Engel verkündet den Fall Babylons (Nr. 49). Auf der kunstvollen Darstellung des Schlafs der Gerechten (Nr. 51) schlummern diese wirklich friedlich, während die Engel ihre geretteten Seelen in weißem Linnen davontragen. Die Seelen besitzen die erfrischende Form unschuldiger Kinder. Es folgen die Ernte der Auserwählten (Nr. 52) und die Weinlese der Zurückgewiesenen (Nr. 53). Der Saft der reifen Trauben spielt auf deren Sünden an, für sie ist »der Becher voll« der Bottich läuft über (Nr. 54) und verwandelt sich in einen Strom von Blut.

– Fünfter Teil: Hier gießen die Engel die sieben goldenen Schalen aus, durch die der Zorn Gottes zur Vollendung kommt. Zunächst auf das Land (Nr. 58), dann auf das Meer, das zu Blut wird (Nr. 59). Die Hände einiger ertrinkender Sünder ragen aus der See hervor. Eine Schale wird auf die Sonne ausgegossen (Nr. 60), welche die Menschen mit Feuer versengt. Auf der Bahn Nr. 62 speien Dämonengeister Frösche, ein Symbol der Falschheit. Die letzte Schale wird in die Luft gegossen (Nr. 63), und Babylon stürzt ein, ein Vorzeichen des nahen Endes. Nr. 64 ist wunderschön: die große Hure an den Wassern (natürlich Babylon, Mutter aller Sünden). Hier verlässt der heilige Johannes zum erstenmal seinen Wachposten. Ein Engel erklärt ihm, wer diese Frau sei. Der Arme bekommt es mit der Angst. Wachsame Augen, fragender Blick ... Nr. 65 ist eher zum Lachen: der heilige Johannes flüchtet sich wie ein verängstigtes Kind in die Arme seiner Mutter (hier ein Engel). Die Hure reitet ein merkwürdiges Tier. Nr. 66 stellt dann den furchtbaren Fall des von Dämonen behausten Babylons dar – mit Vögeln wie bei Hitchcock. Im Bild Nr. 68 läßt sich der emsige Heilige das letzte Kapitel seines Buches diktieren. Bemerkenswert ist der Faltenwurf des Engelgewandes.

– Dem sechsten Teil fehlen die meisten Teppichbahnen. Bei Nr. 70 gibt es zerzaustes Haar: Christus, die Haare im Wind, stößt in einer turbulenten Szene häßliche Menschen und Tiere in einen See von Feuer zurück. Frappierend ist auch, dass er zahlreiche Heiligenscheine trägt. Auf dem folgenden Bild scheinen die Richter schwer Arbeit zu haben: der eine führt über die Seelen der Auserwählten Buch. Eine ausdrucksstarke, elaborierte Szene (Nr. 72): mit einer letzten Gewaltanstrengung versucht Satan die Macht über die Stadt wiederzuerlangen, indem er sie umzingelt. Drachen quellen aus seinem Maul hervor. Dahinter weitere Menschen, die er zu seiner Verzweiflungstat verführte. Rechts das wehrhafte Lager der Heiligen. Nr. 73 bezaubert durch ihre Poesie: das neue Jerusalem steigt vom Himmel herab. Die feingearbeiteten Motive (blühender Hintergrund, nuancenreiche Linienführung des Wassers) befinden sich in der Nähe zur Miniaturmalerei. All dies kündet den Glanz der letzten Szenen an: »Das neue Jerusalem in all seiner Pracht« (Nr. 74). Der heilige Johannes hat endgültig den Wachturm verlassen. Ein Engel scheint ihm die Hand zu reichen zum Dank für die gute Arbeit, die er geleistet hat. Die letzte Darstellung zeigt auch die letzten Zeichen der Erneuerung: das Wasser, Quelle des Lebens, fließt vom Thron Gottes. Die Bäume tragen Früchte. Wir befinden uns im Paradies auf Erden, ehe Adam und Eva ihre Dummheiten begingen. Der Kreis schließt sich! Schließlich, wie immer, ein kleiner Wink mit dem Finger, der den Humor des Künstlers verrät: wer will, kann sich einen Spaß daraus machen, auf der unteren Bahn des Wandteppichs das Kaninchen, das in einen Bau springt und einige Bahnen weiter wieder auftaucht, ausfindig zu machen. Schließlich eröffnet ein Loch im Untergeschoß der Galerie den Blick auf die Apsis der Kapelle Saint-Laud (12. Jh.).