Einleitung Loire

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Frankreichs Loire

Strahlendes Herz

Pures Französisch

Dass dieses oder jenes Gebiet ein Land der Kontraste sei, ist eine gern gebrauchte Formel, die wenig aussagt, denn man wird kaum eines finden, das nicht in irgendeiner Form von glücklichen Gegensätzen geprägt wäre. Zu diesen raren Ausnahmen zählt die Loire. In ihrem Herrschaftsbereich sind die Übergänge ebenso sanft fließend wie der Fluß selbst, und anstelle von Gegensätzen herrscht Gesetztheit. Von Sancerre bis zur Gegend um Nantes prägt Frankreichs längster Strom mit seinen zahlreichen Zuflüssen schmucke Bilderbuchlandschaften durch seine milde Lebensart. Dunkelgrüne, fette Wiesen, goldene Ernten, mattsilbrig schimmernde Kalkhänge, wildreiches Dickicht, das Spiegelbild der Weiden im Graben eines Schlosses – alles verströmt ruhigen Wohlstand.

Mit der düsteren Beauce im Norden, dem kargen Massif Central im Süden, der Bretagne im Westen und Burgund im Osten ist die Loire vielen Einflüssen ausgesetzt, gibt ihnen aber dank ihrer standhaften Persönlichkeit nicht nach. Auch wenn die Franzosen den gewissen Unterschied nicht immer leicht erkennen – der Fremde bemerkt augenblicklich den typischen Duft von Harmonie und edlem Genuß, diesen Duft des alten Frankreich, den sich schon die Könige gern um die Nase wehen ließen. Die Seine ist pariserisch, Rhône und Garonne stehen für den Süden, die Loire aber ist der französische Strom schlechthin. Es gibt das Frankreich südlich der Loire, das Frankreich nördlich der Loire, und es gibt die Loire: sie fließt genau durch das Herz des Landes, und ihre Anwohner sprechen das reinste Französisch.

Das Heiligtum französischen Esprits, ein Schlaraffenland, das den Geist der Nation zusammenfaßt: Literatur, prachtvolle Architektur, köstliche Weine ... und all das in reibungslosem Zusammenspiel, wie es nur durch lange Gewöhnung zustandekommt. Denn die Loire repräsentiert französische Geschichte. François Villon, Ronsard, Rabelais, Leonardo da Vinci und Descartes, Sully und Richelieu, Vigny und Balzac: Leute mit Geschmack, Genie oder Geltungsdrang waren schon immer hier zu finden, allen voran die französischen Könige. Von Karl VII. bis zu Heinrich III. - unterhielten nicht weniger als neun von ihnen ihren Hof und ihre Mätressen an der Loire. An ihren Ufern frömmelte Ludwig XI., feierte Franz I. und konspirierte Katharina von Medici.

Die Loire ist legitimer Universalerbe der letzten Valois, dem französischen Herrschergeschlecht im Spätmittelalter. Sie feierten an diesem Ort mit Prunk die Vermählung der Renaissance mit dem französischen Geschmack. Schloß Chambord, die schwebende Stadt mit ihren 365 Türmchen, Kaminen und Fenstern, Chenonceau, die anmutige Brücke über den Cher, wo Diane de Poitiers herumzualbern pflegte, Blois mit seinem Mittelalter in Renaissanceinterpretation, der Palast von Amboise, der sich an seinen Mauern emporreckt und jener von Saumur, steingewordener Traum mit nadelspitzen Türmen – alle zwanzig Kilometer steht der Besucher vor einem neuen Wunder. Die Schönheit des Flusses strahlt aus auf die ganze Region, in einer harmonischen Anordnung schöner weißer Häuser mit Hüten aus Schiefer und wundervollen, golden schimmernden Ortschaften.