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Der Nordosten

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Cattericks Bridge und Richmond

Im Krankheitsfall – Ärzte und Apotheken

Krankheitshalber mußten wir einige Tage dort verweilen und wurden gewartet und gepflegt, als wären wir unter Bekannten und Freunden. Die Wirtin, Mistreß Ferguson, wich nur aus dem Krankenzimmer, wenn ihre Geschäfte es notwendig machten; ihr Mann ritt selbst nach dem vier Meilen entlegenen Städtchen Richmond, um den Apotheker des Orts zu holen, und der Sohn des Hauses, ein Landgeistlicher aus der Nachbarschaft, schleppte seine halbe Bibliothek herbei, um Kranken und Gesunden Unterhaltung zu verschaffen. Der Apotheker war ein vernünftiger, guter Arzt, und das Übel wich seinen Heilmitteln bald.

In ganz England sind die Apotheker die am meisten gesuchten Ärzte; man nennt sie auch Doktor. Besuche der eigentlichen Ärzte werden, außer bei reichen vornehmen Kranken, nur bei sehr großer Gefahr gefordert. Sie sind zu kostbar: weniger als eine Guinee dar man keinem für jede einzelne Visite bieten. Diese wird ihnen gewöhnlich jedes Mal beim Abschiednehmen in die Hand gedrückt. Eine Konsultation des Arztes in seinem eigenen Hause kostet die Hälfte. Die Apotheker werden ungefähr wie die Ärzte in großen deutschen Städten bezahlt. Übrigens wimmelt´s nirgends so von Quacksalber wie in England; dies bezeugen die öffentlichen Blätter, deren größte Hälfte aus Ankündigungen von Arkanen besteht.

Richmond*

Gänzlich hergestellt kamen wir nach Richmond, einer kleinen Landstadt, am Abhange eines Felsens erbaut. Die Ruinen des uralten Schlosses Richmond, von welchem die jetzigen Herzöge von Richmond zwar den Namen führen, aber keine fünfzig Pfund Einnahme haben, stolzieren hoch auf dem Gipfel desselben über die Stadt. Letztere liegt höchst malerisch, und die Ruinen der sie umgebenden alten ehemaligen Wälle gewähren eine weite herrliche Aussicht. Wald, Wiese, hübsche Landhäuser, Gärten, Dörfer, kleine fruchtbare Anhöhen wechseln auf eine unbeschreibliche anmutige Weise ringsumher, und ein Strom, über den eine steinerne Brücke führt, belebt das Ganze. Jeder Schritt entdeckt neue Schönheiten; der wilde Fels, auf dem Schloß und Stadt erbaut sind, bildet einen wunderbaren Kontrast mit den lieblichen Umgebungen. Die Ruinen, zwar in einem ganz anderen Geschmack und weniger prächtig als die von Fountains Abbey, zeugen dennoch von ehemaliger Größe und gesunkener Herrlichkeit. Sie werden gar nicht unterhalten und drohen stündlichen Einsturz, zur großen Gefahr für die an ihrem Fuße liegenden Wohnhäuser. Ein einziger Turm steht erhalten da, alles übrige sind nur hohe, üppig mit Efeu bewachsene Mauern. Die Abteilungen der Gemächer sieht man noch deutlich und die hohen Bogenfenster, aber das Dach fehlt gänzlich; Regen und Wind haben überall freien Zugang.

Aukland, Durham, Sunderland und Newcastle*

Von Richmond nach Aukland kamen wir in wenigen Stunden; es ist der Sitz des Bischofs von Durham. Sein Wohnhaus, ein großes gotisches Gebäude, zwar recht nett, aber doch ganz bürgerlich und einfach möbliert, zeigt keine Spur geistlicher Pracht, alles ist, so wie es sich eigentlich für einen solchen Oberhirten schickt. Der zu dem Hause gehörige Garten ist in Hinsicht der darauf verwendeten Kunst kaum nennenswert, aber von Natur eines der schönsten, lieblichsten Fleckchen der Erde. Er vereinigt Fels und Wald; ein rauschender Fluß stürzt bald gaukelnd, bald unwillig über wildes Gestein, das sich ihm vergeblich in den Weg wirft. Unendlich viel Schönes könnte hier mit Geld und Geschmack hervorgebracht werden, und doch, wenn man diese ungeschminkte Natur sieht, muß man unwillkürlich wünschen, dass alles so bleibe, wie es ist.

Wir fuhren durch den großen, sehr angenehmen Park nach der Stadt Durham. Sie ist eine der ältesten, wenngleich nicht der größten in England und liegt sehr malerisch in einem reizenden, von fruchtbar angebauten Bergen umgebenen Tale. Den folgenden Morgen gingen wir über Sunderland nach Newcastle.

Sunderland ist wegen einer eisernen Brücke, der größten in England, sehr merkwürdig. Ein einziger ungeheurer Bogen wölbt sich hundert Fuß hoch über die Fläche des Wassers, so dass ein Schiff, ohne die Masten umzulegen, darunter hinsegeln kann. Nie sahen wir Zierlichkeit und Stärke so vereint. Wie ein Zauberwerk scheint die Brücke in der Luft zu schweben. Nur der Bogen, auf welchem sie ruht, und die Geländer, die sie an beiden Seiten einfassen, sind von Eisen, sie selbst ist von Stein.

Auf einem bequemen Platze unter der Brücke konnten wir den Mechanismus derselben recht betrachten. Sechs nebeneinander parallel hinlaufende Bogen vereinigen sich zu einem Ganzen. Jeder dieser Bogen besteht aus einer dicken eisernen Stange, die auf einer Menge nebeneinander aufrecht gestellter, ebenfalls eisernern Ringe ruht, von welchen jeder fünfzehn Fuß im Diameter hält. Diese Ringe ruhen unten wieder auf einer der oberen ähnlichen Stange; verschiedene Eisen sind symmetrisch angebracht, um die sechs Bogen nebeneinander zu verbinden. Das Ganze liegt an beiden Enden auf zwei mehr als armdicken eisernen Querstangen, die aber inwendig hohl sind.

Der zierliche Anblick dieses Kunstwerks ist unbeschreiblich; augenscheinlich sieht man, wie viel mehrere schwache Kräfte vereinigt tragen können. Wenn auch etwas an diesen Bogen durch Zeit oder Gewalt zerstört würde, so bleibt doch immer genug übrig, das Ganze zu erhalten, und man möchte fast behaupten, es könne nie sehr baufällig werden, weil man mit leichter Mühe jedem kleinen Schaden bald abhelfen kann. Es wohnt hier ein eigener Wächter neben der Brücke, der darauf zu sehen hat, dass sie immer im Stande erhalten werde. Man hat einen auch in Deutschland bekannten großen Kupferstich, welcher den Kunstbau dieser wahren Wunderbrücke sehr gut und deutlich darstellt.

In Newcastle, wohin uns jetzt unser Weg führte, fanden wir nichts zu tun als auszuschlafen. Die Stadt ist ziemlich groß, hat neben vielen engen und winkligen auch einige hübsche Straßen und ist, besonders wegen des Steinkohlenhandels, für Großbritannien sehr wichtig. Aber alles hat auch das Ansehen und den Geruch dieses Geschäfts und also für den bloß zum Vergnügen Reisenden wenig Einladendes.