Theaterbesucher
Unvergleichliches Publikum
Hoher Anspruch an Schauspieler und Schauspiel
Einrichtung des Theaters
Das englische Publikum im Theater*
Dies verdient ein eigenes Kapitel, denn es ist einzig in der Welt. Wie es despotisch über die bretterne Welt herrscht, davon hat man in ganz Europa keinen Begriff, auch in Frankreich nicht, wo man doch noch weit von der Langmut der Deutschen entfernt ist.
Oft, wir gestehen es, wenn wir sahen, wieviel sich das deutsche Publikum von seinen Lieblingen gefallen läßt, wünschten wir diese nur auf wenige Monate auf die englische Bühne, damit sie erkennen lernten, wie wohl es ihnen zu Hause geht.
Im Ganzen läßt sich das Verfahren dieser Insulaner durchaus nicht rechtfertigen. Jedes zu leise gesprochene Wort, jede Vernachlässigung, jedes Stocken wird unbarmherzig geahndet; nur gegen Debütierende zeigt man große Nachsicht und muntert sie auf alle Weise auf. Daher kam es aber auch, dass wir nie einen Londoner Schauspieler sahen, der seine Rolle nicht gelernt hätte. Der Souffleur mit seinem alle Illusion vernichtenden Kasten ist gänzlich von der Bühne verbannt; nur ganz dem Publikum verborgen, stehen auf beiden Seiten in den Kulissen Einhelfer, die emsig für sich nachlesen und dem Schauspieler notdürftig zu Hilfe kommen, wenn diesen einmal sein Gedächtnis verläßt.
Wie überall, so hat auch hier der auf den höchsten Spitzen befindliche Teil des Publikums die lauteste Stimme; jedes Liedchen, jede Arie, welche diesen Erhabenen gefällt, muß zweimal, oft dreimal gesungen werden. Und ihnen gefällt vieles. Selbst die stolze Billington mußte in unserem Beisein sich gefallen lassen, eine Bravour-Arie und ein Duett zweimal zu singen. Entsteht eine Unruhe, ein Streit im Parterre oder auf der Galerie, wird jemand krank und muß weggebracht werden, gleich erschallt von oben herab der Befehl an die Schauspieler, inne zu halten, bis die Ruhe wieder hergestellt oder der Unruhestifter hinausgeworfen ist. Bisweilen wird der Lärm so arg, dass die Schauspieler das Theater verlassen müssen, bei der Wiederkehr werden sie mit Händeklatschen empfangen, und genau, wo sie aufhörten, fangen sie wieder an.
Wie es bei allem diesem um die Illusion stehe, darum kümmert sich niemand; die Hauptsache ist, dass jeder für sein Geld alles sehe und höre, was es zu sehen und zu hören gibt.
Zuweilen werden die Zuschauer Schauspieler. Ein Matrose kam, wie wir eben im Theater waren, einst auf den Einfall, in einem Zwischenakt ein Liedchen zu singen. Gleich wurde von oben herab Stillschweigen geboten, und alles gehorchte. Der Matrose sang für das, was er war, gut genug und mit einer ganz erträglichen Stimme, dabei ganz furchtlos, obgleich sein Auditorium zum Teil aus den Vornehmsten des Reichs bestand. Er fand vielen Beifall und sollte noch einmal singen. Jetzt wollte er es aber zu schön machen, überstieg sich über seine Kräfte und warf mitten in einer Roulade förmlich um. Ein allgemeines Gelächter endigte für diesmal die Szene.
Einrichtungen der beiden großen Londoner Theater in Hinsicht auf die Zuschauer*
Um halb sieben Uhr soll jede Vorstellung anfangen, doch wird es fast immer sieben Uhr, und auch diese Stunden ist noch zu früh für ein Publikum, das im Durchschnitt erst gegen sechs Uhr und oft weit später noch zu Mittag speist. Die Vorstellungen dauern so lange, dass jede nicht englische Geduld ermüden muß. Selten kommt man vor Mitternacht nach Hause. Kurz und gut ist nun einmal nicht das Symbol der Engländer: überall lieben sie lange Sitzungen, im Parlament, an der Tafel und auch im Theater.
Jeden Abend müssen zwei Stücke gegeben werden, eines von fünf Akten und ein Nachspiel, welches auch oft zwei bis drei Aufzüge hat. Gewöhnlich spielt man zuletzt irgend eine Posse, selten eine kleine Oper, oft irgend ein den neuen englischen Romanen nachgeformtes Unding voll Nacht und Graus. Ob übrigens das Nachspiel zum ersten Stück passend gewählt ist, ob es nicht mit den durch jenes erregten Empfindungen auf das schreiendste kontrastiert - dies kümmert niemanden; genug, der Zuschauer bekommt volles Maß für sein Geld.
Beide großen Theater von Drury Lane und Covent Garden sind vom Monat September bis Ende Junius geöffnet, dann werden sie geschlossen und das kleinere Sommer-Theater zu Haymarket kommt an die Reihe. Im Monat Mai und Junius werden die meisten Benefiz-Vorstellungen für die älteren und besseren Schauspieler gegeben; sie gehören mit zu deren Gehalt. Dann währen diese Vorstellungen oft bis nach ein Uhr; denn um das Publikum vollkommen gut zu bewirten, schiebt man noch allerhand Sächelchen in die Zwischenakte ein, bald ein Liedchen, bald einen Tanz. Diese gefallen gewöhnlich den hohen Zuschauern, müssen zwei- bis dreimal wiederholt werden und kosten viel Zeit.