Surreay Quay
Fahrt durch die Oatlands
Grafschaft Kent
Westindische Docks
Von Slough nahmen wir unseren Weg über Oatlands zurück nach London. Diese einsame ländliche Wohnung der seitdem auch verstorbenen Prinzessin Friederike von Preußen (84), Gemahlin des Herzogs von York, liegt in geringer Entfernung von den Ufern der Themse, fast am äußersten Ende des schönen Tals, welches der Blick von Richmonds Hügel aus beherrscht. Hier wohnte diese Fürstin, die Tochter König Friedrich Wilhelms des Zweiten, als Kind schon der Liebling ihres großen Oheims, beinahe das ganze Jahr hindurch in klösterlicher Eingezogenheit, umgeben von wenigen Damen. Selten nur kam der Herzog mit einigen Freunden nach Oatlands und brachte Abwechslung in ihr einförmiges Leben. Ihre Hauptbeschäftigung waren wunderschöne Stickereien, an welchen sie mit ihren Damen bis tief in die Nacht arbeitete. Wenn der Morgen dämmerte, ging sie gewöhnlich erst zur Ruhe, und stand auf, wenn die Sonne wieder zu sinken begann.
Der böse Genius, der uns vom Anfange dieser kleinen Reise begleitete und uns so manche Erwartung vereitelte, schien uns auch hier noch nicht verlassen zu wollen. Wir waren leider wieder nicht an dem Tage dort, an welchem Fremden der Eintritt erlaubt wird, und hätten durchaus an einem Sonntage kommen sollen, versicherte uns eine alte, ziemlich grämliche, korpulente Dame, die Frau des Kastellans. Neben ihr stand ein ebenso wohlbeleibter und verdrießlicher Berliner Mops und wies uns knurrend die weißen Zähne. Trotz dieser trüben Aspekte versuchten wir unsere Redekünste und glücklicherweise nicht ohne Wirkung. Wir stellten ihr vor, wie wir ausdrücklich aus Deutschland über´s Meer hierher gekommen wären, um unseren Landsleuten hernach sagen zu können, wie es in der Wohnung unserer Prinzessin aussähe und wie es ihr erginge? Dies rührte das Herz der alten Dame, zusehends wurde sie freundlicher, der knurrende Mops ward auf sein Kissen verwiesen, sie schrieb ein Billett an Madame Silvester, eine deutsche Favorite der Herzogin, und machte zuletzt noch eine große Toilette, um uns selbst ins Schloß zu begleiten. Langsam wedelnd watschelte jetzt der Mops gesellig neben uns her.
In dieser Begleitung durchwanderten wir zuerst einen schönen großen Park, dann traten wir in einen Blumengarten, voll der schönsten und seltensten Pflanzen. Eine Menge großer und kleiner, lang- und kurzgeschwänzter Affen trieb darin ihr lustiges Wesen. Die Herzogin liebte diese und alle Tiere, welche sich zur häuslichen Geselligkeit erziehen lassen. Fremde und einheimische Vögel, Papageien, Hunde aller Art fanden wir in großer Anzahl überall in und um ihre Wohnung.
Die größte Zierde des nicht groß, nicht prächtig, sondern ganz einfach und fast bürgerlich eingerichteten Schlosses waren die künstlichen Stickereien der Fürstin und ihrer Damen. Die Spaziergänge fanden wir sehr angenehm, sehenswürdig allein eine schöne, mit seltenen Versteinerungen und Fossilien aus Derbyshire etwas phantastisch verzierte Grotte, die ein marmornes Bad enthält. Rund um sie her lagen die mit Inschriften versehenen Gräber der verstorbenen Lieblingshunde und Affen der Fürstin. Diese erinnerten uns lebhaft an den Kirchhof, welchen Friedrich der Große in Sanssouci für seine vierbeinigen Freunde einrichtete und in dessen Mitte er einst, in einer trüben Stunde, sein eigenes Grab bereiten ließ.
Westindische Docks. Knole, Landsitz des Herzogs von Dorset*
Die nördlichen Ufer der Themse in der Grafschaft Kent sind nahe bei London mit unzähligen Magazinen, Schiffswerften und anderen dem Seehandel unentbehrlichen Gebäuden bedeckt. Hier auf der befahrensten Straße zum »Markte der Welt« ist alles der rastlosesten Tätigkeit geweiht, und die ländlichen Freuden fliehen von selbst diesen ewigen Lärm, wo der Amboß und der laute Ruf einer zahllosen Menge arbeitender Menschen unaufhörlich ertönt.
Nahe an der Stadt erblickt man ein Riesenwerk unserer Tage: die dem westindischen Handel gewidmeten Docks. Eine Gesellschaft Londoner Kaufleute erbaute sie vor nicht gar langer Zeit. Sie kosteten die ungeheure Summe von sechshunderttausend Pfund Sterling. Eine Abgabe von den hier abzuladenden Waren entschädigt die Unternehmer für ihre Auslage vollkommen, denn alle Westindienfahrer müssen in diesem durch Kunst hervorgebrachten Hafen ihre Waren ein- und ausladen. Er besteht aus zwei ungeheuren Bassins, von welchen das kleinere bloß zum Laden dient, das größere zwei- bis dreihundert große Schiffe beherbergen kann, die darin sicher und bequem unter Schloß und Riegel liegen.
[Fußnote (84): Prinzessin Fredericke von Preußen, Frau des Herzogs von York. Wegen Kinderlosigkeit trennten sie sich nach sechs Jahren Ehe. Die Wochenendgesellschaften in Oatlands waren hochgeschätzt, und auch der Herzog besuchte sie trotz der Trennung.]