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Begeisterung bei Italienischer Pantomime

Convent Garden Theatre

Große Schauspier und Schauspielerinnen

Mme. Bland, eine kurze, dicke, ältliche Favoritin des Publikums, die für eine vortreffliche Sängerin galt, weil sie gewaltig schrie und dabei deutlich aussprach, sang in einem Zwischenakt eine englische Liebesromanze, »Poor crazy Jane« (die arme wahnsinnige Hanna). Es sind die einfachen Klagen eines von seinem Geliebten betrogenen und darüber wahnsinnig gewordenen Mädchens. Die Musik war nicht sonderlich; doch mußte sie unter lautem Beifall zweimal wiederholt werden. Hierzulande gilt der Text mehr als die Musik, und solche Schilderungen des höchsten menschlichen Elends sind einmal die größte Freude der Engländer. Mit ihrem Gefühl geht es ihnen wie mit dem Cayennepfeffer: nur das möglichst Starke vermag bei ihnen Herz und Magen zu reizen.

Den Beschluß machte für diesen Abend, oder wie man hierzulande passender sagt, für diese Nacht, eine große, meistenteils von Italienern aufgeführte Pantomime; ein Schauspiel, das wir in dieser Vollkommenheit noch nirgends sahen. Ein Zauberer saß auf seinem Throne, umgeben von dienenden Geistern aller Art. Im Hintergrunde, hinter einem eisernen Gitter, erblickte man den alten Pantalon, Harlekin, Colombine und den treuen Diener Pierrot, alle in Todesschlummer versunken, in Särgen liegen. Der Zauberer mußte notwendig verreisen, und alles kam darauf an, dass jemand einstweilen an seiner Stelle auf dem Throne säße und das Szepter aufrecht hielte, ohne einzuschlafen. Ein kleiner, neckischer Kobold, unübertrefflich von einem Signor Grimaldi (26) gespielt, wird zu diesem Ehrenamt erlesen und weiß sich nicht wenig damit. Der Zauberer ermahnt ihn auf´s Dringendste, ja nicht einzuschlafen, und fährt ab in seinem Drachenwagen. Eine Weile geht es vortrefflich; der kleine närrische Kobold ist außer sich vor Freuden auf dem weiten prächtigen Thron. Nun aber meldet sich der Schlaf, umsonst widersteht er aus allen Kräften, umsonst nimmt er aus einer ungeheuren Dose eine so starke Prise, dass er dreimal niesen muß, bei jedem Niesen wenigstens drei Ellen hoch vom Sitze in die Höhe geschnellt wird, in der Luft sich ein paar mal überschlägt und immer wieder auf den Sitz zurückplumpt. Die Natur siegt, er schläft ein, das Zepter entsinkt einen Moment seiner Hand, der Zauber ist zerstört, und der bunteste Wirrwarr hebt an. Die Schlafenden erstehen hoch erfreut aus ihren Särgen, alles verschwindet. Harlekin und die Seinen sind nun auf ewiger Flucht, überall, in tausend Abwechslungen, lassen sie sich häuslich nieder und fangen an, ihr lustiges Wesen zu treiben, überall verfolgt sie der Kobold. Ewiger Szenenwechsel, Dekorationen, so prächtig man sie nur erdenken kann, Verwandlungen, bei denen man verleitet wird, an Hexerei zu glauben, folgen in der schnellsten Mannigfaltigkeit, dass das Auge kaum Zeit hat, alles zu bemerken. Die Mimiker waren alle vortrefflich, wie die Dekorationen; ein echter komischer Zug jagte den andern. Das Haus erscholl vom unaufhaltsamsten Gelächter; alles lachte, alles war erfreut, aber gewiß niemand imstande, zu Hause zu erzählen, was er gesehen hatte. Gegen ein Uhr endigte das Schauspiel.

Covent Garden(27)*

Das Haus, nicht völlig so groß als das von Drury Lane, aber nicht weniger elegant dekoriert, erscheint fast noch blendender, noch prächtiger als jenes, denn viele große und kleinere angebrachte Spiegel vervielfältigen die Menge der strahlenden Wachskerzen ins Unendliche.

Hier auf diesen Brettern sah man oft in einer einzigen Vorstellung die berühmtesten Künstler vereint. Zuerst nennen wir Mme. Siddons (28), die, seit wir sie sahen, das Theater verlassen hatte. Sie war eine hohe königliche Gestalt. Als ob Melpomene, wie alte Meister sie uns darstellen, das Piedestal verlassen hätte, um unter den Lebenden zu wandeln, so trat sie einher, groß, schön, im einfachen Ebenmaß. Ihr ganzes Wesen war zur Tragödie geschaffen, der Ausdruck, die Form ihres schönen Gesichts paßte nur für das Trauerspiel, unmöglich konnte man sie sich fröhlich oder gar lachend denken. Unbeschreiblich melodisch war ihre Stimme, sanft und durchdringend zugleich, sie hatte unnachahmlich klagende Töne in ihrer Brust. Schon lange war sie nicht mehr jung, aber die Zeit konnte ihr wenig rauben; bei diesen edlen regelmäßig schönen Zügen vermißte niemand den Glanz der Jugend; sie war ziemlich stark; aber auch dies machte keinen Übelstand bei ihrer hohen Gestalt. Sie wäre ein Ideal gewesen, über das hinaus man sich nichts denken konnte, hätte sie sich nicht zuweilen von der Lust, dem Publikum zu gefallen, hinreißen lassen, ihr großes Talent zu mißbrauchen. So aber überschritt sie oft die Grenzen des Schönen und ward fürchterlich.

[Fußnote (26): Joseph Grimaldi gehörte seit seiner Kindheit Drury Lane an und war ein sehr beliebter und von der Kritik gelobter Pantomime und Clown.]

[Fußnote (27): Das Haus, welches Johanna besuchte, war 1792 durch den Architekten Henry Holland vergrößert worden (3600 Plätze statt vorher 2000). Hauptattraktion war ein eiserner Vorhang, der aber nicht verhindern konnte, dass das Haus 1806 abbrannte; Neubau 1809. Nach einem erneuten Brand entstand es 1858 in seiner modernen Gestalt unter dem Namen Covent Garden Opera House.]

[Fußnote (28): Sarah Siddons (1755-1830), geniale Tragödin. Garrick holte sie 1775 zum ersten Mal ans Drury Lane, doch konnte sie sich nicht durchsetzen und kam 1782 bereits berühmt, ein zweites Mal an diese Bühne. Ihre Glanzrolle, die Lady Macbeth, hat sie allein in London 139 Mal gespielt.In der Zeit 1804 / 05 verlor sie das Publikumsinteresse, da sich dieses dem dreizehnjährigen Wunderknaben Master Betty zuwandte, der Hamlet und Richard III. spielte. 1802-12 spielte sie im Covent Garden, zog sich dann vom Theater zurück, trat allerdings noch mehrmals auf.]