Shakespeare
Geschwister Siddons
Shakespeares Macbeth und Richard III.
Shakespeare nach Garrick
Als Isabella zum Beispiel in dem Trauerspiel: »The Fair Penitent« (Die schöne Büßende)(29), wo sie im fünften Akt den Dolch sich ins Herz stößt, verschied sie mit einem lauten, konvulsivischen, herz- und nervenzerreißenden Gelächter, das ziemlich lange anhielt und den Zuschauern die Haare zu Berge sträubte. Aber so etwas will der Engländer, und halb London strömte ins Theater, um Mme. Siddons lachen zu hören, obgleich die Damen Krämpfe und Ohnmachten davontrugen.
Ihr wahrer Triumph aber war wohl die Rolle der Lady Macbeth: denn in dieser hatte sie ein weites offenes Feld für ihr großes Talent. In der Szene des Nachtwandelns machte ihr bloßer Anblick jeden Blutstropfen erstarren.
Ihr Bruder Kemble (30) verdiente ihr Bruder zu sein. Seine Gestalt war noch sehr edel und schön, obgleich auch er die Jugendjahre weit überschritten hatte. Zuweilen schien er vielleicht ein wenig monoton, aber sein Spiel war immer durchdacht und motiviert, und immer erkannte man darin seine Lehrerin.
Der junge Siddons, der noch obendrein seiner Mutter sprechend ähnlich sieht, und seine Frau, die mit Jugend und Schönheit ein großes Talent für sanfte, duldende, liebende Rollen vereint, zeichneten sich ebenfalls aus, teils durch das, was sie schon damals leisteten, teils durch die Hoffnungen, die sie, gebildet in dieser Schule, für die Zukunft gaben. Unmöglich kann man die Rolle der Julia lieblicher dargestellt sehen als von der jüngeren Mme. Siddons.
Ein Meister anderer Art war Cooke. Die Natur versagte ihm eine schöne Gestalt; dafür gab sie ihm eine desto ausdrucksvollere Physiognomie, besonders für die Rollen, die er sich erwählt hatte, Tyrannen, Bösewichte; kalte, kühne, trotzige Charaktere spielte er unübertrefflich. Sein Triumph aber war Richard der Dritte. Nie war diese Rolle vor ihm so dargestellt worden, nie wird sie nach ihm es werden; er machte darin Epoche. Seine Feinde behaupteten sogar, er spiele sie immer, in allen seinen anderen Rollen blicke immer Richard der Dritte hervor. Gestalt, Ton, Blick, Gang, alles war in dieser Rolle Wahrheit an ihm. Wo er unverhüllt boshaft erschien, schauderte man vor seiner kalten Besonnenheit, wo er heuchelte, bestach er selbst die Zuschauer. Wenn er mit kaltem Hohne alles, selbst seine eigene Häßlichkeit bespöttelte, wenn er in wilder Verzweiflung »Ein Pferd! ein Pferd! Mein Königreich für´n Pferd!« rief, wenn er mit heuchlerischer Demut das Herz der Lady Anna am Sarge ihres Gemahls eroberte immer war er sich gleich, immer groß und wahr.
In Hinsicht der sonst hier gewöhnlichen Pracht vernachlässigt man oft die Shakespearschen Meisterwerke, die schon ihres inneren Werts wegen immer ein gefülltes Haus bringen, und verwendet den Flitter lieber an neueren Darstellungen, die durch nichts anderes glänzen können. Dennoch muß man jene Stücke gerade auf diesem Theater sehen, um der großen Schauspieler willen, welche in den Hauptrollen wahrhaft glänzen.
Die Nebenrollen fallen freilich umso unangenehmer auf. Das langsame, einem Gebelle ähnliche Perorieren der mittelmäßigen Schauspieler wird erst lächerlich, dann unerträglich. Freilich mag es sehr schwer sein, so laut zu sprechen und doch noch Modulation in der Stimme zu behalten.
Leider spielt man fast alle Shakespearschen Stücke, die noch gegeben werden, nach den Umarbeitungen Garricks (31), der wie viele seinesgleichen in dem Wahne stand, ein großer Schauspieler müsse auch ein guter Dichter sein, und deshalb sich mit dem großen Meister ganz unerlaubte Freiheiten herausnahm. In »Romeo und Julia« zum Beispiel erwacht Julia, wie Romeo noch sterbend ist; dies verursacht eine unaushaltbare Szene; die Amme ist ganz gestrichen. »Hamlet« wird dem Originale ziemlich treu gegeben, nur bleibt Fortinbras am Ende weg. Hamlet ist Kembles Hauptrolle, er spielt sie bis in die kleinsten Details, als hätte er »Wilhelm Meister« gelesen.
[Fußnote (29):The Fair Penitent von Nicholas Rowe, seit der Erstaufführung (1703) oft gespieltes Stück.]
[Fußnote (30): John Philipp, Sarah Siddons Bruder, allerdings nicht von ihrer genialen Begabung. Seine entscheidende Leistung lag auf dem Gebiet der Regie, er bemühte sich, Kostüm und Szenerie sinnvoll in die gesamte Aufführung einzugliedern, worauf man bis dahin wenig Wert legte.]
[Fußnote (31): David Garrick (1717-79), Stückeschreiber, englischer Schauspieler und Theaterdirektor. Verkörperte die neue Schauspielkunst, die auf RealismusWert legte.]