Birmingham
Industriespionage
Falschgeld und Knöpfe
Matthew Boulton macht Dampf in Smethwick Soho
Birmingham und Soho*
Wir reisten jetzt auf Birmingham(4) zu. Die Gegend verschönte sich mit jeder Meile, Berge wechselten mit lachenden Tälern. Wir mußten zuweilen die Räder einhemmen, weil der Weg zu steil bergab führte. Die Aussichten von der Höhe sind sehr reizend. In Birmingham selbst erklommen wir noch einen steilen Berg, der uns lebhaft an den Hradschin in Prag erinnerte, ehe wir zu dem großen eleganten Gasthofe gelangten. Dieser heißt noch immer "Zur Henne mit den Küchlein", obgleich der Wirt in unseren, immer vornehmer werdenden Zeiten sich alle Mühe gibt, ihn zu Lloyd´s Hotel umzustempeln.
Birmingham ist durch seine Fabriken weit und breit berühmt, ja man könnte fast behaupten, es gäbe kein Dorf im kultivierten Europa, vielleicht kein Haus, in welchem nicht irgendein Produkt der Industrie dieser Stadt zu finden wäre, sei es auch nur ein Knopf, eine Nadel oder ein Bleistift. Die Stadt selbst ist schon durch ihre bergige Lage nicht schön; der Rauch der vielen Fabriken und Werkstätten, die hier ihr Wesen treiben, gibt ihr ein düsteres, schmutziges Ansehen. Überall hört man hämmern und pochen, alles läuft am Tage geschäftig hin und wider, niemand hat Zeit, solange die Sonne leuchtet. Dafür hallen des abends die Straßen vom Geschrei und von Gesängen derer wider, die sich den Tag über unter der schweren Last des Lebens abarbeiteten. In den wenigen Stunden, die sie dem alle Sinne lähmenden Schlafe des ermüdeten Arbeiters abstehlen können, suchen sie in Tavernen und Spielhäusern die Freude zu haschen, an die sie den Tag über nicht denken konnten.
Den Tag nach unserer Ankunft eilten wir, den merkwürdigsten Punkt dieser Gegend, Soho, das zwei Meilen von Birmingham gelegene Etablissement des Herrn Boulton(5), zu besuchen.
Wir finden in ganz England, vielleicht in ganz Europa keinen glänzenderen Beweis von dem, was Industrie, Fleiß und anhaltendes Streben nach einem Ziele vermögen, als diesen kleinen freundlichen Fleck. Herzlich freuten wir uns, seinen Schöpfer, den achtzigjährigen Boulton, noch in völliger Geisteslebendigkeit kennen zu lernen, obgleich sein Körper der Krankheit, dem Alter und der unermüdeten Arbeit längst unterlag. Wir fanden ihn durch Steinschmerzen völlig gelähmt; im Hause ließ er sich durch zwei rüstige Bediente herumtragen; im Freien fuhr er sich selbst in einem der kleinen bequemen Fuhrwerke, die in England zum Troste der dort so häufigen Lahmen und Gebrechlichen erfunden wurden. Alles dies hinderte ihn nicht, uns, die wir ihm durch einen seiner Freunde empfohlen waren, überall selbst hinzubegleiten. Sein dunkles Auge blitzte von Jugendfeuer, als er uns erzählte, wie er alle die vielen sich ihm entgegenstellenden Schwierigkeiten mutig bekämpfte und glücklich überwand. Freundlich erklärte und zeigte er uns alles. Und als wir in die dortigen Anlagen traten, die er mit Hilfe einer Dampfmaschine dem unfruchtbaren Sumpfe abgewann, sprangen uns seine blühenden Enkel entgegen, spannten sich vor sein Wägelchen und fuhren den glücklichen Greis wie im Triumph davon.
Achthundert Menschen finden in Soho täglich Arbeit und Brot. Hier werden englische Kupfermünzen und ausländische, für die ostindische Compagnie, für Amerika und manche fremde Höfe geprägt. In Deutschland sagt das Gerücht: Boulton lasse auch die vielen falschen Münzen fabrizieren, die von England aus Deutschland überschwemmen. Dem ist aber nicht so, er hat an dem gesetzlichen Wege mehr Arbeit, als er bestreiten kann, und ist zu rechtlich, zu reich, um sich einem so gefährlichen Handwerke zu unterziehen. Vor diesem war das Nachprägen fremder Münzen, wenn nicht erlaubt, doch in England toleriert; sie wurden wie Rechenpfennige angesehen und in großer Menge, meistens auf Bestellung spekulativer Köpfe in Deutschland und anderen Ländern, ziemlich öffentlich fabriziert. Seitdem aber der Galgen so gut auf diesen Zweig der Industrie gesetzt ist wie auf das Nachmachen englischer Banknoten und Münzen, wird dieses Geschäft nur ganz heimlich betrieben. Es soll indessen in Birmingham an dergleichen Fabriken, welchen oft eine Knopffabrik zum Aushängeschild dient, nicht fehlen.
Außer der Münze enthält Soho noch eine große Fabrik von plattierten Waren aller Art, eine Glasfabrik und eine von Dampfmaschinen.
Die erstaunenswürdigste Erfindung der letzteren, bei dem Reichtum an Steinkohlen für England von unermeßlichem Wert, hat Boulton erst auf den Gipfel von Vollkommenheit gebracht, auf welchem sie jetzt steht. Er verfertigt Dampfmaschinen für ganz Europa und Amerika, läßt aber diese Fabrik niemanden sehen, weil sich oft Leute bei ihm einschlichen, die seine Gastfreundschaft mißbrauchten und mühsam errungenen Vorteile ihm abzusehen strebten, während er sie freundlich bei sich aufnahm. Er sagte uns, wir würden es unartig gefunden haben, dass er in allen Gasthöfen, viele Meilen um Birmingham her, ein Avertissement anschlagen ließ, in welchem er bekanntmachte: dass ohne besondere Empfehlung an ihn keinem Fremden sein Etablissement gezeigt werden. Durch den ewigen Zulauf von Fremden, der ihm oder doch einem seiner Associés alle Zeit raubte und unter seinen Arbeitern ewige Störungen veranlaßte, wurde er zu diesem Schritte gezwungen, den er höchst ungern tat. "Nichts ist unerträglicher", sagte er, "als ein Haus zu besitzen, das eine Sehenswürdigkeit ist (a rare show) oder gar selbst eine zu sein; beides war mein Fall, denn jeder, der Soho gesehen hatte, glaubte schon aus Höflichkeit dessen Stifter in Augenschein nehmen zu müssen, und so wußte ich mir am Ende nicht anders zu helfen, als auf diese unfreundliche Weise."
[Fußnote(4):Birmingham zählte zur Zeit Johannas rund 75 000 Einwohner].
[Fußnote (5): Matthew Boulton (1728-1809) gründete zusammen mit James Watt (1736-1809) die erste Dampfmaschinenfabrik der Welt in Smethwick Soho, nahe Birmingham.]