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Parlament

Body: 

Houses of Parliament

Westminster Hall

Gerichtshof von Kingsbench

Der Palast von Westminster (65)*

In diesen Überbleibseln eines uralten, von Eduard dem Bekenner erbauten Palastes thront jetzt die Göttin Themis(66). Gleich den Königen von England ist auch sie schlecht logiert, und ihre Residenz sieht von innen und außen sehr zerfallen aus. Neugierig, den Schauplatz so vieler merkwürdiger Entscheidungen, den Tummelplatz der berühmtesten Redner der Welt zu sehen, eilten wir eines Morgens hin.

Zuerst traten wir in die Westminster Halle. Es ist ein hoher, gewölbter Saal, zweihundertfünfundsiebzig Fuß land und vierundsiebzig breit. Man hält ihn in England für den größten in Europa, dessen Decke nicht auf Säulen ruht. Dies mögen wir nicht bestreiten, aber trotz seiner Größe gewährt er keinen brillanten Anblick. Die Wände sind ohne alle Verzierungen, und die künstlich geschnitzte Decke von Eichenholz nimmt sich, von unten aus gesehen, schon wegen der braunen Farbe des Holzes nicht besonders aus. In der Nähe betrachtet, sollen diese Verzierungen im gotischen Geschmacke nicht ohne Kunstwert sein.

In früheren Zeiten diente diese Halle bei großen Festen und Schmausereien den Königen zum Speisesaal. Richard der Zweite soll darin auf einmal zehntausend Personen bewirtet haben. Oft ward hier das Parlament versammelt, hier war der große Gerichtshof, in welchem der König persönlich präsidierte. Der unglückliche Karl der Erste (67) ward in dieser Halle verhört und verurteilt, und noch jetzt versammeln sich hier die Richter bei wichtigen seltenen Rechtsfällen, wenn ein Pair des Reichs oder irgendeine andere sehr wichtige Person angeklagt wird. Gewöhnlich aber dient diese Halle den Advokaten und ihren Klienten zur Promenade, bis die Reihe sie trifft, bei Gericht vorgelassen zu werden.

Wir sahen hier viele der ersteren in schwarzen Mänteln, mit großen, weißgepuderten Perücken auf- und abwandeln. Sehr ungeniert ging es übrigens zu, jeder wandelte, wohin es ihm beliebte; keine Wache, kein Türsteher, niemand, der auf Ordnung hielte, war sichtbar. Auch wir eilten ungestört umher, traten von ungefähr hinter einen an der Seitenwand der Halle angebrachten Vorhang und sahen uns plötzlich zu unserem Erstaunen in einem nicht großen, nicht schönen, aber ziemlich dunklen Zimmer, das uns wie eine Dorfkapelle vorkam. Auf einer kleinen Erhöhung hinter einem Tische saß ein schwarzbemäntelter Herr mit einer gewaltig respektablen Staatsperücke. Es sprach sehr angelegentlich und eindringend; wir aber verstanden kein Wort von dem, was er sagte, denn eine Menge Leute gingen mit großen Geräusche aus und ein und machten einen Lärm, als wären sie für sich allein zu Hause. Zuweilen rief wohl irgend jemand: »Silence!«, aber niemand kehrte sich sonderlich daran, der Lärm dauerte fort nach wie vor. Rund um den Tisch saßen dreißig bis vierzig andere Herren auf Bänken, ebenfalls mit schwarzen Talaren und weißen, obgleich etwas kleineren Perücken. Alle schienen emsig beflissen, dem Redner zuzuhören, so gut es sich bei so bewandten Umständen tun ließ. Zu unserem Erstaunen vernahmen wir, dies sei der hohe Gerichtshof, High Court of Chancery, und der Herr obenan der Lordkanzler, die anderen wären die Richter, welche in diesem unruhigen Winkel sich versammelten, um sehr bedeutende Prozesse zu entscheiden. Man kann indessen von ihrer Entscheidung noch an das Oberhaus appellieren.

Verwundert über die leichte Art, mit der hier die wichtigsten Dinge betrieben werden, irrten wir eine Weile im alten Palaste umher, durch viele uralte gewölbte Gänge, Treppen auf und ab, kreuz und quer; zuletzt fanden wir uns wieder nahe an der großen Halle, im Gerichtshofe von Kingsbench, Court of Kingsbench.

Hier sah es nicht besser aus als im hohen Gerichtshofe; derselbe Lärm, dieselbe Unordnung. Zwei Herren, mit Perücken angetan, die auf einer größeren Erhöhung sich befanden, präsidierten; einer von ihnen war der Oberrichter, Lord Ellenborough. Vor ihnen, hinter Schranken, standen ein paar arme Teufel mit wahren Armesündergesichtern, über deren Haupt es eben herzugehen schien.

Vor dem Gerichtshofe von Kingsbench werden fast alle Kriminal- und Polizeiverbrechen gerichtet; der berühmte Mr. Erskine (68) und sonst noch mehrere ausgezeichnete Rechtsgelehrte treten hier oft als Verteidiger oder Kläger vor die Schranken. Hoffentlich gönnt man diesen Männern mehr Aufmerksamkeit, als sonst hier gebräuchlich ist. Nie und nirgends sahen wir das, was doch erst das ernsteste Geschäft der Welt ist, die Entscheidung zwischen Recht und Unrecht, Schuld und Unschuld, Lohn und Strafe, Leben und Tod, auf eine so leichtsinnige Weise betreiben. Keine Spur war zu erblicken von dem imponierenden Ernste, der von jedem Richterstuhle unzertrennlich sein sollte. Unbegreiflich ist es nur, wie Richter und Advokaten diesen Lärm ertragen, ohne alle Aufmerksamkeit für ihr Geschäft zu verlieren. Wir eilten hinaus und resignierten gern darauf, noch zwei Gerichtshöfe zu sehen, die sich ebenfalls im Palaste von Westminster befinden und in welchen es nicht besser hergeht als in den beiden, welche wir besuchten.

[Fußnote (65): Der Westminster Palast wurde 1834 durch ein Feuer zerstört.Vom Parlamentsgebäude sind nur die Westminster Hall, die Krypta und der Kreuzgang der St. Stephens Chapel aus der Zeit von Johannas Besuch. Die Hall diente 1883 als Hauptgerichtshof und stammt vom Palast Richards II.von 1398.]

[Fußnote (66): Themis Gottheit für die göttliche und natürliche Ordnung.]

[Fußnote (67): Karl der Erste stand wegen seines absolutistischen Bestrebens im Gegensatz zum Parlament und Cromwell. Als er versuchte sich mit den Schotten zu verbünden. Was zur Folge hatte das er von einem außerordentliches Gericht gebracht, am 25. Januar 1649 wegen Hochverrats, zum Tode verurteilt und am 30. vor seinem Palast in Whitehall enthauptet wurde.]

[Fußnote (68): Thomas Erskine, englischer Jurist und Staatsmann, 1805 zum Lord und Lordkanzler ernannt. Er verteidigteThomas Paine.]