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Die Royals

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Die Königliche Familie

Sonntagabend auf der Terasse

König Georg III.

In Windsor mußte man vor der traurigen Krankheit Georgs des Dritten die königliche Familie sehen, um sich von ihrer Lebensweise und Persönlichkeit einen Begriff zu machen. Hier fielen die Schranken, welche Etikette und strenge Eingezogenheit in London um sich zogen. Dort hatte man kaum Gelegenheit, sie zu Gesichte zu bekommen, wenn man sich nicht präsentieren lassen wollte. Im Theater erschienen sie sehr selten, und beim Spazierenfahren oder Reiten eilten sie zu schnell vorüber, als dass man die Gestalten auffassen konnte.

Während ihres Aufenthaltes zu Windsor hingegen sah man sie alle Sonntage morgens in bescheidenen Negligé, nach englischer Sitte, beim Gottesdienst in der Georgen-Kapelle versammelt. War der König gesund, so versäumte er auch an Wochentagen nie, um sieben Uhr des Morgens in der königlichen Kapelle im oberen Hofe des Schlosses seine Morgenandacht feierlich zu halten, wobei ebenfalls jedermann zugelassen wurde. Später traf man ihn vormittags oft in den Wirtschaftsgebäuden, in den Pferdeställen, überall. Er trug dann einen einfachen, dunkelblauen Oberrock, mit einer runden braunen Perücke, die ihm völlig das Ansehen eines wohlhabenden Pächters gab. Er pflegte es nicht ungern zu hören, wenn man ihn Farmer George nannte; ländliche Ökonomie war in früheren Zeiten seine Lieblingsbeschäftigung.

An jedem heiteren Sonntagabend promenierte die ganze Familie auf der großen Terrasse, und dieses gewährte dann einen in seiner Art einzigen Anblick. Von der einen Seite die grauen altertümlichen Mauern des Schlosses mit ihren Zinnen und Türmen, von der anderen die oben erwähnte reiche Aussicht auf den Strom, Feld und Wald im verklärenden Glanze der sinkenden Sonne, und nun das bunte drängende Gewühl aller Stände, jeden Alters, beinahe jeder Nation; denn kein Fremder versäumte es leicht, Windsor wenigstens einmal von London aus an einem Sonntage zu besuchen. Zu der Menge von Fremden gesellten sich die Bewohner der umliegenden Gegend, vom vornehmen Gutsbesitzer bis zum geringsten Landmann; zwischen ihnen bewegten sich schwerfällige Bewohner der City mit ihren wohlbeleibten geputzten Ehehälften und zierlichen trippelnden Misses.

Auch wir waren an einem Sonntage gleich den anderen Fremden nach Windsor geflüchtet und mischten uns unter die bunte Menge. Auf und ab wogte das Gewühl, die große Terrasse war fast zu enge. Um sieben Uhr erschienen zwei Banden (81) militärischer Musik auf der Schloßmauer an beiden Ecken der Terrasse. Beide spielten gar lustig God save the King, ohne sich sonderlich umeinander zu kümmern; die Entfernung und das Geräusch waren auch zu groß, als dass sie viel voneinander hätten hören können. Mit dieser beliebten Melodie fuhren sie ohne weitere Abwechslung den ganzen Abend fort zu musizieren. Die königliche Familie erschien bald darauf; ein einziger Konstabler ging mit dem Stabe voraus, um nur einigermaßen Raum für sie zu machen. Man drängte sich von allen Seiten um sie her. Der König ging zuerst, an seiner Seite die Königin. Wo er einen Bekannten erblickte, redete er ihn an oder nickte ihm einen freundlichen Gruß zu, ohne Unterschied von Rang und Stand. Neugierig forschte er nach den Namen jeder ihm aufzufallenden Gestalt, und wir hörten verschiedentlich, wie er nach seiner alten, durch Peter Pindar so bekannt gewordenen Gewohnheit ein einsilbiges Wort oft drei- bis viermal hintereinander wiederholte. Mit dem Astronomen Herschel sprach er, so oft er ihm begegnete, einige Worte; auch die Königin war ausgezeichnet freundlich gegen diesen ihren Landsmann. Die Promenade schien ihr viel weniger Freude zu machen als ihrem Gemahl, an dessen Arm sie hing. Das Gehen auf den hohen, spitzigen Absätzen, die sie noch immer trug, wurde ihr sichtbar schwer; sie war sehr klein, und in dem grautaftenen Kleide, welches sie hoch in die Höhe nahm, mit einem altmodischen Mäntelchen von weißem Taft, sah sie gar nicht königlich aus. Der König schien oft ganz zu vergessen, dass er sie führte, und ging, stand oder kehrte plötzlich um, wie es ihm eben gefiel.

Hinter dem königlichen Paare wandelten die beiden ältesten Prinzessinnen am Arme einer Hofdame. Die zweite, Mary, hat ein interessantes Gesicht. Jetzt folgte die Prinzessin Elisabeth, auf zwei Hofdamen gestützt. Nach der Prinzessin Elisabeth folgten die beiden jüngeren Schwestern am Arme ihres Bruders, des Herzogs von Cambridge. So zogen sie in Prozession durch das Gewühl auf und ab; stand der König, so standen alle, wendete er um, so folgten sie ihm.

In der Zeit von anderthalb Stunden begegneten wir ihnen wenigstens zwanzigmal, denn so wie der König an einen etwas menschenleeren Teil der Terrasse kam, kehrte er um. Diese Promenaden machten ihm viel Vergnügen; selten kehrte er vor der Dämmerung nach Hause. Wir waren ihrer eher überdrüssig als er, denn er wandelte noch ganz munter umher, als wir die Terrasse verließen.

Das Städtchen Windsor hat wenig Ausgezeichnetes; es zieht sich den ganz beträchtlichen Hügel hinan, auf welchem das Schloß liegt. Die Straßen sind folglich bergig und unbequem zum Fahren und Gehen; auch die Gasthöfe fanden wir weniger gut, als man es in dieser Nähe des Hofes vermuten sollte.

[Fußnote J.S. (81): »In England sagt man immer eine Bande Musiker. Uns dünkt dies recht charakteristisch.«]