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Tower Hamlets

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Wilde Kreaturen im Londoner Tower

Kronjuwelen im Wakefield Tower

Der Weiße Tower

Die Münze mit den dazugehörigen Gebäuden nimmt ein gutes Drittel des Towers ein. Sie wird nicht gezeigt. Uns blieb der weiße Turm, die Schatzkammer und die Löwen zu sehen. Letzteren machten wir zuerst unseren Besuch.

Nicht nur Löwen werden hier in einer besonderen Abteilung in starken Käfigen bewahrt, auch Panther, Leoparden, Tiger und mehrere Arten wilder Bewohner der Wüsten, grimmige stattliche Bestien, denen man es ansieht, dass sie gut gehalten werden. Nach englischer Sitte hat jede derselben außer dem Schlafkabinette noch ein Wohnzimmer in ihrem Käfig, wo sie Besuch annimmt. Alle prangen mit christlichen Namen, besonders die Löwinnen; da findet man eine Miß Howe, Miß Jenny, Miß Charlotte, Miß Nanny, als wäre man auf einer englischen Assemblee. Viele dieser Tiere wurden hier im Tower geboren und erzogen, und es ist merkwürdig, dass diese gerade die wildesten und unbändigsten sind.

Die Kronjuwelen (62), welche ebenfalls der Tower aufbewahrt, zeigt man auf eine wunderlich ängstliche Weise, die sehr gegen die Liberalität absticht, mit welcher Fremde im Dresdner grünen Gewölbe herumgeführt werden. Der uns leitende Ochsenfresser öffnete uns eine kleine Türe, wir traten hinein und mußten uns alle in einer Reihe auf eine dastehende Bank setzen. Die Tür ward hinter uns abgeschlossen, und wir befanden uns in einem kleinen steinernen, ganz dunklen Gewölbe wie in einem Gefängnis. Die unerwartete Finsternis blendete uns; es währte lange, ehe wir dicht vor uns ein starkes eisernes Gitter entdeckten und hinter demselben eine alte Frau zwischen zwei Lichtern.

Dieser etwas drachenähnliche Hüter unterirdischer Schätze zeigte uns nun viele Kostbarkeiten. Manches Stück davon war wegen der alten, mitunter sehr feinen Arbeit merkwürdig; zum Beispiel ein goldener Adler, dessen Hals das heilige Öl zur Salbung der Könige enthält; der goldene Löffel, in welchen der Bischof bei der Krönung dieses Öl gießt, und vieles uralte Tischgeräte von Gold und Silber. Dann sahen wir auch das mit französischen Lilien verzierte Zepter, den Reichsapfel, viele Kronen und mehr dergleichen Dinge, die bei Krönungen und anderen festlichen Gelegenheiten noch zum Teil gebraucht werden. Eine Perle von unschätzbarem Werte, ein Smaragd, der im Umfange sieben Zoll groß ist, und ein wunderschöner Rubin schmücken die Krone, welche der König im Parlamente auf dem Haupte trägt; die Krone des Prinzen von Wales wird im Parlamente vor diesen hingesetzt, als ein Zeichen, dass er noch nicht berechtigt ist, sie zu tragen. Alle diese Herrlichkeiten blitzen von köstlichen Edelsteinen. In der düsteren Höhle sahen sie wie ein von bösen Geistern bewachter Feenschatz aus; ihr Wert wird über zwei Millionen Pfund Sterling angegeben, ohne die seltenen Steine, deren Wert man gar nicht bestimmen kann.

Von hier wandten wir uns zum weißen Turme, der aber weder ein Turm noch weiß ist, sondern ein großes viereckiges Gebäude mitten in der Festung, alt, grau und rostig anzuschauen. Vier Wachttürme krönen dessen Zinnen, von welchen einer zur Sternwarte eingerichtet ist.

Im ersten Stock sahen wir die der großen spanischen Armada abgenommenen Trophäen. Lauter alte, zum Teil recht sonderbar erdachte Mordgewehre. Eine Menge Daumenschrauben befinden sich dabei; die Spanier führten sie bei sich, um damit bei ihrer Landung von den besiegten Engländern Auskunft über etwa verborgene Schätze zu erpressen.

In diesem Saale ist eine lebensgroße Puppe zu schauen, welche die Königin Elisabeth vorstellt, wie sie eben im Begriffe ist, einen weißen Zelter zu besteigen. Sie trägt die Kleider, welche Ihre Majestät trug, da sie nach diesem merkwürdigen Siege (63) zum Volke sprach. Wir möchten aber keiner Schauspielerin raten, sich zur Rolle der Elisabeth nach diesem Muster zu kostümieren. Die gute Dame sieht schrecklich aus, besonders das zu einem hohen, breiten Turme aufgekräuselte Haar, welches gar nicht mehr wie Haar aussieht, und die unendliche, spitzig zulaufende, in einen Harnisch gepreßte Taille.

Hier sahen wir auch das Beil, unter welchem der Anna Boleyn (64) schönes Haupt fiel, und mehr dergleichen traurige Merkwürdigkeiten, von denen der Tower wimmelt.

Die Waffen neuerer Zeit sind in einem anderen sehr großen Saale aufgestellt. Nimmer hätten wir diesen Mordgewehren zugetraut, dass sie einen so hübschen Anblick gewähren könnten. Sie sind hier auf´s Zierlichste und mit einer Art Erfindungsgeist und Geschmack geordnet; die Wände blitzen von Bajonetten, Pistolen, Degen und Säbeln, in tausend verschiedenen Formen gestellt; da sieht man daraus zusammengesetzte Kirchenfenster, eine Orgel, Wappen, Sterne, Schlangen; die Decke ruht auf Pfeilern von Musketen, um welche zierliche Girlanden von Pistolen sich winden.

In einem anderen großen Saale sind alle Könige Englands, von Wilhelm dem Eroberer an bis auf Georg den Zweiten in einer langen stattlichen Reihe, zu Pferde, in voller Rüstung zu schauen. Die zum Teil sehr prächtigen Rüstungen sind die nämlichen, welche ihre Inhaber bei Lebzeiten trugen. Auch Georg der Zweite hat eine über und über vergoldete Rüstung an; der Ochsenfresser, unser Cicerone, versicherte uns sehr naiv, dieser Herr habe solche nie getragen. Der berühmte John of Gaunt, Sohn Eduards des Dritten, muß ein Riese ohnegleichen gewesen sein; seine Rüstung ist sieben Fuß hoch, Schwert und Lanze dem angemessen. Auch Heinrich der Achte war gewiß ein ansehnlicher Herr; die für ihn in seinem achtzehnten Jahre verfertigte Rüstung gibt der des John of Gaunt an Größe wenig nach.

[Fußnote (62): Die Kronjuwelen befinden sich im Wakefield Tower.]

[Fußnote (63): Untergang der spanischen Armada im Kampf gegen die englische Flotte unter Sir Francis Drake 1588.]

[Fußnote (64): Anna Boleyn die zweite Gattin Heinrichs VIII.; 1536 enthauptet.]