Westminsterabtei
Unordnung in der Westminster Abby
Poets Corner
Grab von Lord Mansfield
Die Westminster Abtei*
Diese Behausung berühmter Toter steht öde und trauernd, selbst einem großen Grabmale vergangener Jahrhunderte ähnlich. Die alte Herrlichkeit und Schönheit der in der gewöhnlichen Kreuzform erbauten gotischen Kirche kann man von außen nur ahnen; denn hier so wenig wie bei St. Paul ist ein Standpunkt zu finden, von welchem es möglich wäre, das Ganze zu überblicken. Zwei schöne viereckige Türme krönen die hohe Zinne; jeder derselben ist nach gotischer Art mit mehreren kleinen, leicht in die Luft sich erhebenden Türmchen geziert; ein prächtiges Portal führt in das innere Heiligtum.
Vom Eingange an der Westseite überblickt man den ganzen Plan desselben. Einem versteinerten heiligen Haine gleich, steht es vor uns in seiner ehrwürdigen erhabenen Pracht. Schlanke und doch verhältnismäßig starke Pfeiler tragen das hohe, wie von Geisterhänden kühn geschaffene Gewölbe, an welchem Bogen über Bogen sich leicht und luftig erheben. Jeder dieser Pfeiler besteht aus eine Gruppe von fünf Pfeilern, die sich zu einem einzigen vereinen. Das durch die hohen bemalten Fenster verschleiert eindringende Sonnenlicht verbreitet heilige Dämmerung ringsumher, über alle die unzähligen, mit unendlichem Kunstfleiße gearbeiteten Verzierungen, welche diesen ehrwürdigen Tempel schmücken.
Alles Alte darin ist groß, herzerhebend und erfreulich; desto unangenehmer sticht alles Neuere dagegen ab. Besonders fremd nimmt sich der moderne, von weißem Marmor im sogenannten griechischen Geschmacke erbaute Altar in dem wunderherrlichen alten Chor aus, in welchem die englischen Könige gekrönt werden.
Auch die unzähligen Monumente, welche diese Kirche eigentlich überfüllen, zerstören die Einheit des Gebäudes. Ohne Ordnung und Wahl stehen sie durcheinander, als hätte man sie vor irgendeinem Unfalle hierher geflüchtet und einstweilen hingestellt, wo eben ein freies Plätzchen zu finden war. Obendrein scheinen die wenigsten, wenn man sie als Kunstwerke betrachtet, diese Sorgfalt zu verdienen. Viele sehen in dieser hohen Umgebung nur um so kleinlicher aus; oft sind Mauern aufgeführt, an die sie lehnen, und obgleich es ein schöner Gedanke ist, dass eine große Nation hier in ihrem heiligsten Tempel, bei den Gräbern ihrer Könige, das Andenken großer, verdienter Männer dankbar aufbewahrt, so kann man sich doch nicht enthalten zu wünschen, dass dieses auf eine weniger störende Weise geschehen sein möchte. Ein großer Teil der Ausführung des schönen Zwecks geht durch die Art verloren, mit welcher alles unter- und übereinander gestellt ist. Durch Staub, Schmutz und unzählige Spinnweben muß man sich drängen, um manches Monument in seinem engen Winkel zu betrachten, und dabei den Kummer zu fühlen, das wahrhaft Schöne und Große durch soviel Mittelmäßigkeit verdrängt und entstellt zu sehen.
Eine Ecke in einem der kürzeren Flügel ward dem höheren Talent gewidmet. Sehr unpoetisch nennt man diese Abteilung den Poetenwinkel, The Poets Corner. Hier finden wir Goldsmith, Händel, Shakespeare, Garrick, Chaucer, Buttler, Thomson, Gay, Johnson, Milton, Dryden und viele andere, nur nach Swift, Sterne und Pope suchen wir vergebens. Der Platz ist sehr enge, und mancher hochgefeierte Name muß sich in diesem Pantheon aus Mangel an Raum mit einem unscheinbaren Winkel behelfen. Ein Medaillon mit dem Profil des durch Talent und Schicksal unserem Hölty so nah verwandten Goldsmith ist über der Türe angebracht. Händel sitzt schreibend und aufhorchend, als belausche er die Melodie der Sphären und eile, sie auf dem Papiere festzuhalten. Im königlichen Schmucke tritt Garrick hinter einem Vorhange hervor und schaut entzückt und geblendet die neue Szene. Gedankenvoll lehnt Shakespeare an einem Postament und zeigt auf eine herabhängende Pergamentrolle mit folgender Inschrift aus seinem »Sturm«:
»So werden
Die wolkenhohen Türme, die Paläste,
Die hehren Tempel, selbst der große Ball,
Ja, was daran nur Teil hat, untergehen,
Spurlos verschwinden. Wir sind solcher Zeug
Wie der zu träumen, und dies kleine Leben
Umfaßt ein Schlaf.«
Unter den im übrigen Teil der Kirche zerstreuten Denkmälern wird das dem Lord Mansfield gewidmete von den Engländern besonders hoch gehalten. Es ist vom jüngeren Flaxmann gearbeitet (70). Dieses und das des Lords Chatham, Vater des berühmten William Pitt (71), wurden jedes mit sechstausend Pfund Sterling bezahlt. Lord Mansfield, in der weiten, der plastischen Kunst gar nicht vorteilhaften Tracht der englischen Richter, sitzt in ziemlich ungraziöser Stellung auf dem Richterstuhle; eine Hand stützt sich auf´s Knie, die andere hält eine Pergamentrolle. Neben seinem Sitze, etwas niedriger, stehen Weisheit und Gerechtigkeit, hinter ihm der die Fackel auslöschende Tod, gewagt genug in der Gestalt einer schönen, nackten, weiblichen Figur dargestellt.
[Fußnote (70): John Flaxman (1755-1826), britischer Bildhauer und Illustrator]
[Fußnote (71):William Pitt, der jüngere Pitt genannt (1759-1806). Zweimaliger Premierminister.Größte Verdienste um des Staats- und Wirtschaftsleben waren die Ostindische Bill, die Verfassung Kanadas und die Union mit Irland. Vorkämpfer gegen Napoleon.]