Londinium
Teure Hauptstadt
Unterkunftssuche
Quirliges Treiben, bequeme Gehwege
Der Aufenthalt in den Londoner Gasthöfen ist unglaublich teuer, die Zahl derer, in welchen Fremde nicht nur essen und trinken, sonder auch wohnen können, ist verhältnismäßig klein zu nennen, und selbst von diesen sind nur sehr wenige so bequem eingerichtet, als man es bei einem Aufenthalt von mehreren Wochen oder gar Monaten verlangen muß, eben weil dieser Fall den Gastwirten nur selten vorkommt.
Hingegen findet man mit leichter Mühe in allen Straßen vollkommen gute, gleich zu beziehende Wohnungen, mit Küche und Keller und allen sonstigen Erfordernissen versehen; größer und kleiner, elegant und einfach möbliert, wie man es wünscht, sogar ganze Häuser mit Stallung und allem Zubehör. Man braucht nur durch die Straßen des Quartiers zu gehen, in welchem man zu wohnen wünscht, überall erblickt man angeschlagene Zettel an den Häusern, welche Wohnungen zur Miete ausbieten, so dass bloß die Wahl unter so vielen den Fremden in Verlegenheit setzen kann.
Die Eigner dieser Wohnungen sind Leute aus dem Mittelstande, angesehene Landhändler oder Handwerker, Witwen von beschränktem Einkommen. Alle beeifern sich auf das zuvorkommendste, dem Fremden jede mögliche Bequemlichkeit zu verschaffen. Gewöhnlich übernimmt es auch die Haushälterin oder die Frau vom Hause, für Reinlichkeit der Zimmer und für die Küche zu sorgen, so dass man sich wie zu Hause am eigenen Herd ganz heimisch in seinen vier Pfählen befindet.
London in aller seiner Größe, seiner Pracht und seiner Individualität ganz zu schildern, ist ein Unternehmen, dem wir uns nicht gewachsen fühlen; auch wäre es nach so vielen, zum Teil trefflichen Vorgängern ein sehr überflüssiges. Nur das, was wir während unseres Aufenthaltes einzeln sahen und aufzeichneten, können wir dem Leser hier geben, kleinere Züge zu dem großen Gemälde liefern, welches andere vor uns schufen. Der Gegenstand ist bedeutend genug, um auch in sonst weniger beachteten Details interessant zu erscheinen.
Ein Gang durch die Straßen in London* (20)
Man erzählt von einem der unzähligen kleinen vormaligen Souveräne des weiland Heiligen Römischen Reichs: er habe, da er spät abends in London seinen Einzug hielt, gemeint, die Stadt sei ihm zu Ehren illuminiert. Wäre er bei Tage durch die volkreichsten Straßen der City, etwa durch Ludgate Hill oder den Strang gekommen, er hätte ebenso leicht meinen können, ein allgemeiner gefährlicher Aufruhr setze die Einwohner alle in Bewegung.
Niemand, der es nicht mit seinen Augen sah, kann sich einen Begriff machen von dem ewigen Rollen der Fuhrwerke aller Art in der Mitte des Weges, von dem Wogen und Treiben der Fußgänger auf den an beiden Seiten der Straßen hinlaufenden, etwas erhöhten Trottoirs. Nicht die Leipziger Ostermesse, nicht Wien, selbst nicht Paris können hier zum Vergleiche dienen. Dennoch geht es sich nirgends besser zu Fuß als in London, sobald man sich in die Art und Weise der Eingeborenen zu finden gelernt hat. Dies gewährt den Fremden, besonders den reisenden Damen, einen großen Vorteil, um alles zu sehen und zu bemerken. Wenn man wie in anderen großen Städten immer in seinem Wagen festgebannt bleiben muß und keinen Schritt gehen kann, lernt man den Ort kaum zur Hälfte kennen; auf den schönen Quadersteinen der Londoner Trottoirs aber kommt man vortrefflich fort, selbst wenn das Wetter auch nicht ganz günstig wäre. In den Hauptstraßen sind diese breit genug, um sechs, acht und mehr Personen bequem nebeneinander hinwandeln zu lassen; in den engen winkeligen Gassen der eigentlichen City ist´s freilich nicht so bequem, weil die Fußpfade dort auch schmäler sein müssen. Fremde kommen indessen wenig in jenes, einem Ameisenhaufen ähnlichen Stadtviertel, wo Handel und Wandel so ganz im eigentlichen Ernst ihr Wesen treiben und Mode und Luxus noch wenig Eingang fanden.
Die prächtigen Läden, die Ausstellungen aller Art trifft man größtenteils in den breiten Straßen, welche gleichsam das Mittel halten zwischen der arbeitsamen City und dem vornehmeren, nur genießenden Teile der Stadt. Die Gewohnheit der Engländer, immer zur rechten Hand dem Entgegenkommenden auszuweichen, erleichtert das Gehen sehr und verhindert fast alles Stoßen und Drängen. Den Damen und überhaupt den Respektspersonen läßt man immer die Seite nach den Häusern zu, sie mag zur rechten oder linken Hand stehen. Anfangs kommt es der Fremden wunderlich vor, wenn der sie führende Londoner, so oft man eine Straße durchkreuzt hat, ihren Arm losläßt und hinter ihr weg auf die andere Seite tritt; doch gar bald wird man von dem Nutzen dieser Nationalhöflichkeit überzeugt. Auf dem Mittelwege, wo Hunderte von Wagen sich ewig von allen Richtungen her durcheinander drängen, ist freilich die Ordnung nicht so leicht zu erhalten als auf den Fußpfaden. So breit die Fahrwege auch im Durchschnitt sind, so entsteht dennoch oft eine Stockung, die mehrere Minuten dauert und durch die Mannigfaltigkeit der Wagen, der Pferde, der Beweglichkeit des Ganzen einen recht interessanten Anblick gewährt; nur muß man dem Lärmen gelassen aus dem Fenster zusehen können.
[Fußnote(20): Johanna bewundert hier London vor der Einführung der Gasbeleuchtung ca. 1807.]