Machen wir ein Buch?

Reise, Sachbuch, Belletristik ...?
Alle interessanten Themen;
alles was bewegt.

Hier geht´s weiter!

Guangdong

Body: 

Chinesische Billigarbeiter

Spielzeugindustrie in China

Weihnachten ist das Fest der Liebe und der Besinnung, was bei uns ungefähr auf Folgendes hinausläuft: Hetze von einem Geschäft zum nächsten, um in letzter Minute noch genügend Geschenke zu erstehen, Besuch des obligatorischen Krippenspiels, anschließendes Geschenkeaufreißen von Seiten der Kinder unter dem Weihnachtsbaum. Streitereien, Hektik und persönliche Probleme verhindern die tatsächliche Liebe zu allen Menschen, was der Einzelne nicht nur im Kleinen bemerkt sondern auch im Großen - wenn er sich einen Blick erlauben würde.

In China beginnt das Fest der Liebe bereits im Sommer, wenn in den Fabriken die Spielzeugproduktion auf Hochtouren läuft. Vier Fünftel der Spielzeuge, die man in deutschen Geschäften kauft, stammen aus dem chinesischen Guangdong, doch trotz tausender Fabriken wird die Nachfrage nicht befriedigt: Den Herstellern gehen die Arbeiter aus, inzwischen mangelt es an zwei Millionen. So gefragt sind Billigarbeiter.

Als größter Spielzeughersteller der Welt, stammt ungefähr drei Viertel dessen, was Kinderherzen höher schlagen lässt, aus China. Zwanzig Prozent des im Land verkauften Spielzeugs, wie auch der Babykleider, ist minderwertig; so kaufte manch ein Chinese z.B. ein mit Industrieabfällen und ehemaligen Nudelpackungen gefülltes Stofftier. Die Standards bei Exportware liegen immerhin ein wenig höher.

Arbeitsbedingungen in den Spielzeugfabriken

16-Stunden-Schichten sind die Regel, 18 Stunden werden´s in der Zeit von Juni bis August, wenn die Weihnachtsgeschenke hergestellt werden, bei Eilaufträgen wird auch mal die ganze Nacht durchgearbeitet. In den Monaten vor dem Fest der Liebe stauen sich Lastwagen von den Fabriken bis zum Hong Konger Hafen, dicht an dicht, unter versmogtem Himmel und beißender Luft.

Im Durchschnitt empfangen die Arbeiter siebzig Euro im Monat, nach Abzug von Wohn- und Verpflegungskosten. Dabei erfreuen die Lebensbedingungen kein Angestelltenherz. Die Arbeitnehmer wohnen auf dem Fabrikgelände, essen in der Kantine. Letztere ist von den Arbeitern gehasst, denn viele bekommen von der schlechten Verpflegung Durchfall. Die Köche verwenden halbvergammeltes Gemüse und veruntreuen Gelder.

Im Wohnbereich bilden sich Banden, die Schutzgelder fordern, stehlen, terrorisieren. Dabei ist die Bandenzugehörigkeit immens wichtig, da Abteilungsführer sich nicht trauen, Mitglieder zu schlagen.

Monatlich gibt´s einen freien Tag, selbst in der Nebensaison nicht mehr.

Während der Arbeit immer die gleiche Bewegung, manchmal monatelang. Toilettenbesuch für Frauen fünf Mal täglich, für Männer drei Mal, nicht länger als fünf Minuten. Wer öfter geht, hat Strafe zu zahlen.

Es gibt keine Klimaanlage, was besonders sommers unerträglich wird, und auch keinen Atemschutz beim Lackieren von Plastikfiguren. In den langen Schichten verliert sich das Gefühl für Raum und Zeit.

Am ersten Tag überwältigen Gestank, Lärm, Müdigkeit. Dann stellen sich die Schmerzen ein, d.h. die Finger schwellen an, bis das Brennen einem nachts den Schlaf raubt. An den Kuppen schält sich die Haut bis zum Fleisch; nach zwei Monaten spürt man die Hand nicht mehr. Hinzu kommt Ausschlag an Bauch, Armen und im Gesicht, stechender Husten und Kreislaufkollapse: Ohnmachten sind gang und gäbe.

Ein Großteil der Angestellten kann nur eine vorläufige Aufenthaltserlaubnis vorweisen, die bei einer Entlassung verfällt. In dem Fall sind sie illegal, werden in ihr Herkunftsgebiet abgeschoben. Die Regierung nutz dies zum Kampf gegen Arbeitslosigkeit und Verwahrlosung. Neun Zehntel der Einwohner haben kein Recht auf ärztliche Versorgung, Sozialversicherung oder eine öffentliche Schule. Kinder der Arbeitnehmer pilgern zu illegalen Schulen mit erschreckendem Niveau.

Selbstverständlich werden auch Minderjährige eingestellt, besonders gern Mädchen, da diese gehorsamer und leichter zu kontrollieren sind. Im Alter zwischen zwölf und sechzehn Jahren schuften sie klassenweise an den Fließbändern. Sie kommen zusammen mit ihrem Lehrer an, von der Schule vermietet, die das halbe Gehalt für sich behält. Das fällt übrigens um ein Drittel geringer aus als bei Erwachsenen, da Kinder keine regulären Angestellten sind.

Häufig bewerben sich Kinder mit gefälschten Dokumenten.

Den schönen Schein der Anständigkeit wahren Qualitätssiegel und Gütezertifikate, so z.B. das vom Weltspielzeugverband ICTI. Auf Menschenrechte wird geprüft, doch ist das Verfahren lachhaft, denn am Tag vor der Kontrolle wird die Firmenleitung benachrichtigt. Als Belohnung bei Lügen gegenüber den Prüfern gibt´s zehn Euro, allerdings hat der Arbeiter zuvor Dutzende Fragen und Antworten auswendig zu lernen.

Bereits seit Jahren berichten Hilfsorganisationen und Kirchen von Verletzungen der Menschenrechte in den Spielzeugfabriken, doch natürlich werden kaum Journalisten in die Fabriken gelassen. Stacheldraht und Wächter verhindern ein Eindringen.

Arbeiter, die sich mit Reportern unterhalten, riskieren mehr als nur ihren Arbeitsplatz. Wer dennoch Kontakt zu ihnen aufnehmen möchte, mag sich an eine Mischung aus Untergrundorganisation und illegaler Gewerkschaft wenden. Ihre Mitglieder werden bespitzelt, eingesperrt, gefoltert, in psychiatrische Anstalten gesteckt. In China gibt´s schließlich nur eine Gewerkschaft (unter Aufsicht der KP), nämlich den Allchinesischen Gewerkschaftsbund.

Vier Fünftel des Fabrikkapitals stammt aus Hong Kong, wo die Unternehmer ihre Zelte aufschlugen. Nahezu allen berühmten deutschen Spielzeugunternehmen, so wie auch viele international bekannte haben ihre Finger im Spiel: Disney, Hasbro, Mattel, Ravensburger, Simba, Steiff, Tolo Toys, Zapf … Für sie gab es ein gutes Argument für Fabriken in China: das Geld. Die Kunden fordern billige Produkte, Betriebe sehen sich unter stetig höherem Preisdruck. So zahlen sie ihren Arbeitern häufig weniger als den Mindestlohn von 810 Yuan im Monat (79 Euro). Die Einkaufspreise des Spielzeugs betragen nur einige Cent.

Billigarbeiter unter katastrophalen Bedingungen sind gefragt, denn: Im Westen schreien sie nach Spielzeug. Besonders vor dem Fest der Liebe.