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Unruhen

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Politische Unruhen

Eigenständigkeit gefordert

Frankreich als Mutterland

Wer seinen Badeanzug einpackt, um nach Guadeloupe zu reisen, muß sich klar darüber sein, dass ihn dort nicht nur ein paradiesisches Badevergnügen an blauen Lagunen, unter Kokospalmen, erwartet. Auf den französischen Antillen rumort es seit einigen Jahren, und es sollte auch Touristen – selbst dickfelligen Exemplaren – schwerfallen, den politischen und sozialen Sprengstoff einfach zu ignorieren.

Wir können hier leider keine erschöpfende Darstellung der Unabhängigkeitsforderungungen liefern, sondern nur wenige Stichworte nennen.

Es mag seltsam erscheinen, dass Guadeloupe und Martinique noch immer zu Frankreich gehören, obwohl beide umgeben sind von Inseln, die längst selbständige Staaten geworden sind, wie Saint-Lucia oder Dominica. Die Unabhängigkeitsforderungen auf Guadeloupe nehmen sich ganz natürlich aus innerhalb des weltweiten Emanzipationsstrebens der Völker. Die Versklavung der Schwarzen wurde erst vor knapp hundertfünfzig Jahren verboten, und die Demütigungen durch die »Métros« sind noch nicht vergessen. Lauter Gründe, um die Abnabelung von Frankreich herbeizuwünschen. Doch weiß offenbar niemand so richtig, wie der Weg zur Unabhängigkeit am besten beschritten werden soll (»sanft« oder »radikal«?), welche Kompromisse oder Konzessionen ausgehandelt werden könnten usw.

Eins ist sicher: immer mehr Bewohner auf Guadeloupe entwickeln ein eigenes Nationalbewußtsein und ihre eigene Identität. Wir wollen uns an dieser Stelle nicht in den Streit darüber einlassen, wo die Mehrheiten zu finden sind. Das wird sich sicher über kurz oder lang herausstellen. Wie auch immer – sobald wir den Strand verlassen, werden wir mit der Tatsache konfrontiert, dass Guadeloupe offenbar eine entscheidende Phase seiner Geschichte durchläuft.

Immerhin sind der Anhänger des Status quo auf der Insel noch zahlreich. Und zwar aus handfesten Gründen: sie haben den wirtschaftlichen Niedergang des unabhängigen Dominica und anderer Territorien in ihrer Umgebung vor Augen und befürchten eine ähnliche Entwicklung bei sich. Auch die Beobachtung, dass zahlreiche Befreiungsbewegungen letztlich zu Diktaturen verkamen, macht Überlegungen verständlich, lieber im (leidigen) Gefolge Frankreichs zu bleiben, als unvorhersehbare politische Abenteuer einzugehen. Auch der Überfall der USA auf Grenada 1983 war nicht gerade dazu angetan, Freiheitsgelüste zu schüren. »Uncle Sam« im Norden duldet nämlich keine Experimente in seinem Hinterhof, schon gar nicht sozialistische.

Zwischen Guadeloupe und dem französischen Mutterland besteht ein feingeknüpftes Netz einseitiger wirtschaftlicher Abhängigkeit der Insel, die praktisch total ist. Frankreich läßt sich aber nicht lumpen und investiert fleißig: so steht denn auch das Sozialhilfesystem vielen Einheimischen näher als die Unabhängigkeitsbewegung. Viele Familien leben von Kindergeld und staatlichen Zuwendungen (»l´argent braguette«), was die hohe Arbeitslosigkeit (vor allem bei Jugendlichen) teilweise kompensiert.

Den spürbarsten Einfluß übt die Unabhängigkeitsbewegung bei den Arbeitern und innerhalb der Gewerkschaften aus, vornehmlich bei Zuckerrohrschneidern und Lehrern. Die Tourismusbranche stellt sich natürlich schwerhörig. Es gehört zu den Widersprüchen der Insel, dass sich einerseits der Fremdenverkehr ausbreitet mit allen dazugehörigen Investitionen, während die Forderung nach Unabhängigkeit (»indépendance«) immer lauter wird. Oft wird sie allerdings verharmlost, verdrängt, vergessen. Eine merkwürdige Übergangssituation – alles ist noch offen.

Die Finanzhilfe Frankreichs nach der Wirbelsturmkatastrophe von 1989 hat der Unabhängigkeitsbewegung vermutlich beträchtlichen Schaden zugefügt. Viele Familien wissen, dass sie ohne das Geld aus dem fernen Frankreich nicht hätten überleben können. Inwieweit sich der europäische Binnenmarkt seit Ende 1992 auf die Wirtschaft der Insel auswirkt, ist noch nicht klar zu erkennen. Führende Köpfe der Unabhängigkeitsbewegung beführchten jedenfalls eine verstärkte Abhängigkeit. Sie fordern daher die Autonomie und eine Assoziierung an die EU.