Machen wir ein Buch?

Reise, Sachbuch, Belletristik ...?
Alle interessanten Themen;
alles was bewegt.

Hier geht´s weiter!

Aix en Provence

Body: 

Hamburg contra Aix-en-Provence

Zauber des französischen Alltags

Besuch in Frankreich - Der Traum von AIX

Zurückblickend sehe ich nun ganz klar: Die größte Fehlentscheidung meines Lebens war, damals den Schritt nach AIX en Provence nicht gewagt zu haben. „Im nächsten Leben …“ „nein – JETZT, und zwar SOFORT!!!“ Also packte ich meine Koffer, flog nach AIX und bekam sogar ein Zimmer im Hotel von damals.

Zwei Fragen hatte ich mit im Gepäck: 1.) Ist die Stadt wirklich noch so wunderbar wie in meiner Erinnerung? und 2.) Wie reagiert man auf mich (wenn überhaupt)? Damals war ich so jung …

Schon im Flugzeug, als ich nur noch französisch hörte, kamen mir Tränen des Glücks. Die Sprache habe ich nie systematisch gelernt, sondern eher in Phasen der Liebe „eingeatmet“. Wollte man einer Katze das Schnurren systematisch beibringen, so würde sie sich bestimmt verschlucken. So ähnlich funktioniert das auch bei mir. Ich „schnurre“ Französisch, an das ich mich leichter gewöhne, als an das „Denglisch“

In Hamburg zog ich vor 25 Jahren in eine quirlige Einkaufsstraße. Inzwischen ist sie zu einer „Schicki-Micki“-Meile verkommen. Dort redet man nicht miteinander – nur mit dem Handy, und zwar zu laut. Die Geräuschkulisse bildet der ständig fließende Verkehr.

Dort lächelt auch keiner – nur die „geklonten“ Fotomodels auf den Werbeplakaten.

Werbung wo hin man auch schaut, eine optische Umweltverschmutzung.

In AIX en Provence angekommen stellte ich mit staunenden Kinderohren fest: es sind die Geräusche, die das alltägliche Leben am authentischsten illustrieren! Es beginnt frühmorgens mit dem Müllwagen, die Kinder trappeln schwatzend zur Schule, der Kaufmann zieht die Rollläden hoch … und das geht bis in die späte Nacht, wenn sich das Tack-Tack der Stöckelschuhe mit dem Gurren der Verliebten und dem Schlurfen der Übermüdeten allmählich davonschleicht. Der ganze Tag ist durch das Klappern des Geschirrs, das Zirpen der Schwalben und – das Reden und Lachen und Reden der Menschen melodisiert. Alle reden. Immer. Mit jedem. Und das Lachen scheint hier das Natürlichste der Welt zu sein. Das hatte ich schon fast vergessen …

Nun stand also auch schon fest: Die Lage meines Domizils muss mit den Ohren ausgewählt werden. Also ließ ich mich treiben und ertastete mit den Sinnen alles, was mich umgab. Wie schön die Menschen hier sind, wie geschickt sie sich kleiden, wie anmutig sie sich bewegen… alles berauschte mich geradezu.

Dabei wuchs in mir die Erkenntnis: Da gibt es noch etwas. Etwas Unerklärliches. Es war, als hätte alle Materie, selbst die Luft, feinste Membrane, die unentwegt pulsieren. Ich wurde quasi aufgeladen durch diese subtile Energie und empfand immer tiefere Liebe – ohne ein konkretes Objekt benennen zu können. Dieser Liebe habe ich wohl zu verdanken, dass ich ständig auf angenehmste Weise in Kontakt mit den unterschiedlichsten Menschen geriet und so empfangen wurde, als wäre ich eine von ihnen.

Mir entging natürlich nicht, dass auch andere in den verflossenen 40 Jahren „mein“ AIX entdeckt hatten. Um einen Ort des Ursprungs zu finden, wanderte ich eine banale Straße stadtauswärts und kehrte in ein schlichtes Lokal ein, in dem sich Handwerker, alte Frauen mit Schoßhund, aber auch Geschäftsleute im Dreiteiler befanden. Also gab es das noch, „das“ Frankreich meiner Jugend. Ungeniert futterte der Wirt einige Fritten von einem Teller, den ein Gast nicht leer gegessen hatte, als er ihn in die Küche trug. Als ich am nächsten Tag wieder dort erschien, empfing er mich strahlend mit den Worten: „So beginnen alte Freundschaften“. Ein frittenstibitzender Wirt erklärt mir mal eben die Struktur des Lebens …

Trotz aller Euphorie ließ mich mein Verstand nicht ganz im Stich. Für Studenten mit Hauptwohnsitz und wohlhabenden Eltern in Paris sind einige Jahre AIX bestimmt ideal. Mit meinen 66 Jahren sollte ich mich aber lieber nicht in einer musealen Stadt niederlassen, in der man sich weder mit dem Auto, noch mit dem Fahrrad bewegen kann, in der man 4,-€ für 13 ml Wein bezahlen muss und in der man die Verursacher dafür (er trägt weiße Socken, den Reiseführer und eine schulmeisterliche Miene; sie zeigt ihre zu dicken entblößten Oberarme und eine Mine, die „ich werden zu wenig beachtet“ ausdrückt) ständig um sich hat.

„Schütze Dich vor Sturm und Wind und vor Deutschen, die im Ausland sind.“
Aus der Traum.
Aber die Sehnsucht blieb.