Land und Leute
Caracas
Land und Leute
Charakteristika
Ein kurzer Blick vom Hotel Humboldt, auf dem Berg El Avila in 2.250 m Höhe, zeigt, dass Caracas eine der modernsten Millionenmetropolen Lateinamerikas ist. Die genaue Einwohnerzahl kennt niemand. Mitten durch die Stadt verläuft die Distriktgrenze: im Norden markiert die Quebrada Chacaíto und im Süden, unterhalb Plaza de Venezuela, ein Gebirge deren Verlauf. Die Osthälfte der Stadt gehört also schon zum Bundesstaat Miranda. Die Einwohnerzahl von vier Millionen (1990) bezieht sich daher auf den Bundesdistrikt und den Bundesstaat Miranda. Durch Zuzüge und eine hohe Geburtenrate dürfte sich die Zahl heute auf fünf Millionen belaufen. Der Ostteil von Caracas bestand vor noch nicht allzulanger Zeit aus Plantagen, wie die Namen der Stadtteile verraten (El Cafetal, Bello Monte, El Rosal).
Caracas ist, wie es sich für eine Weltstadt gehört, ständig in Bewegung: Hektik und Verkehrschaos treffen hier aufeinander, längst hat der Zeitgeist den letzten Rest an tropischer Gemächlichkeit verdrängt. Die Zentralisierung der politischen Geschicke (und Mißgeschicke) machte Caracas zur Schaltstelle des wirtschaftlichen und politischen Lebens. Obendrein gilt es als kulturelle Hochburg des Landes.
Stadtgeographie, Klima und Verkehr
Caracas liegt 922 m hoch in einem langgestreckten, beckenähnlichen Bergtal, das der Río Guaire durchfließt. Im Norden verläuft auf 1.000 m Höhe die Stadtautobahn Cota Mil, die gleichzeitig die Stadtgrenze darstellt. Dahinter erstreckt sich der Nationalpark El Avila, für dessen Bebauung die Regierung seit einigen Jahren keine weiteren Genehmigungen erteilt. Die Terrassen jener Gebirgskette jedoch, die Caracas im Süden begrenzt, wurde inzwischen bebaut. Auch in Seitentäler fraß sich der Beton hinein. Nach Westen und Osten hin vermag sich der Stadtmoloch nicht durch die Talenge zu zwängen. Da Bauland knapp und teuer ist, weicht man in die Höhe aus: zahlreiche Wolkenkratzer erweisen ihrem Namen alle Ehre. Den internationalen Flughafen verlegten die Städteplaner vor die Tore der Stadt, nach Maiquetía. Dies geschah vorwiegend aus Sicherheitsgründen. Pläne, den alten Flugplatz im Stadtteil La Carlota in Bauland umzuwandeln, ließ man nach den Unruhen im Februar 1989 schnell fallen. Die wenigen Zufahrtsstraßen waren damals durch Barrikaden blockiert, so dass das Militär eingeflogen werden mußte.
Im Bergtal von Caracas herrscht das ganze Jahr über ein paradiesisches Frühlingsklima. Die Temperatur steigt tagsüber nur selten über 28 °C und sinkt nachts kaum unter 16 °C. Auf den bebauten Terrassen im Südteil der Stadt kann sie indes auf 11 °C abkühlen. Die Mücken werden in Caracas nicht zur Plage wie in manchen Küstenstädten, und Stürme toben sich vor den Toren der Stadt aus. Dass hier lediglich eine leichte Brise weht, hat einen gravierenden Nachteil: die vom Straßenverkehr verschmutzte Luft schwebt wie eine zähe Dunstglocke über den Häuserschluchten. Wer wochentags den Avila besteigt, wird es bezeugen können. Deshalb führten die Regierenden Mitte der achtziger Jahre einen Tag des Fahrverbots ein. Das Kfz-Kennzeichen war ausschlaggebend, welches Fahrzeug an welchem Wochentag in der Garage bleiben mußte. Da alle Bessergestellten einen Zweitwagen besitzen, waren sie nie betroffen. Die anderen kauften sich einfach zusätzliche Nummernschilder, so dass dieses Gesetz nach ein paar Jahren wieder aufgehoben wurde. Ebenso kläglich scheiterte die Einführung eines TÜV: für ein paar lumpige Bolívars bekam jeder seinen Stempel.
Arm und Reich, Weiß und Schwarz
Caracas könnte man als bescheidenes Abbild der USA betrachten. Fast-Food-Ketten, in die Jahre gekommene amerikanische Straßenkreuzer und Wolkenkratzer täuschen eine Glitzerwelt vor. Riesenwerbeplakate und Leuchtreklame an Stadtautobahnen sowie die ständige Spielfilmunterbrechung durch Werbespots verströmen nordamerikanisches Lebensgefühl. Aber auch der Rassenschmelztiegel läßt Parallelen erkennen. Glücklicherweise sind hier alle Hautfarben in die Gesellschaft integriert, ohne dass sich Indio- oder Schwarzenviertel wie in den USA herausgebildet hätten. Wie überall auf der Welt gibt es aber Armenviertel und Wohngebiete für die Mittelschicht. Die gehobene Mittelschicht und die Oberschicht haben Caracas schon vor langer Zeit verlassen: sie zogen an den Westrand des Bundesstaates Miranda. Doch Caracas holte sie ein. Das früher eigenständige Dorf Petare ist inzwischen eingemeindet und verfügt über einen Metroanschluß.