Machen wir ein Buch?

Reise, Sachbuch, Belletristik ...?
Alle interessanten Themen;
alles was bewegt.

Hier geht´s weiter!

Habende

Body: 

Mittelschicht und Reiche

Minderheiten mit Mindeststandarts

Die Mittelschicht kämpft ständig um ihren Klassenerhalt, wobei sie weiß, dass sie kaum Aussicht auf gesellschaftlichen Aufstieg hat, aber verhältnismäßig leicht in die Armut zurückfallen kann. Diese Mittelschicht läßt sich noch in die gehobene und untere Mittelschicht aufteilen. Zusammengenommen sind diese allerdings nicht so breit wie in Deutschland. Trotzdem beruht auf ihr die Wirtschaftskraft des Landes. Dazu einige Beispiele: eine Fotoausrüstung kostet in Venezuela fast doppelt so viel wie bei uns. Das liegt an den hohen Zollsätzen. Die Reichen erstehen ihre Fotoausrüstung im Urlaub, d.h. wenn sie ins Ausland reisen, wesentlich günstiger, als die Mittelschicht, die sich den Auslandsurlaub nicht mehr leisten kann und die Fotoausrüstung im Lande kaufen muß. Die Reichen bringen neue Kleidung aus dem Urlaub mit, da Kleidung aus heimischer Herstellung ihren Qualitätsansprüchen nicht genügt. Mit den Autos verhält es sich ebenso.

Die Mittelschicht konsumiert Produkte, die im Inland gefertigt werden, und sichert dadurch Arbeitsplätze. Doch sobald sich die Gelegenheit bietet, Importwaren zu erwerben, greift diese Schicht ebenfalls zu, da der Qualitätsunterschied enorm ist. In der Mittelschicht gibt es einen Spruch: »Que es barato, sale caro« (was billig ist, kommt teuer). Kauft jemand zu billige Schuhe, so stellt er später im Regen fest, dass es sich nicht um eine Ledersohle, sondern um gepreßte Pappe handelt. Bei billigen T-Shirts muß man nach dem Waschen mit einem ausgeleierten Kragen, kleinen Löchern oder ausgeblichener Farbe rechnen. Doch auch in der Mittelschicht zählt die »pantalla«, d.h. mehr Schein als Sein. Viele haben einen zweiten Arbeitsplatz, um teure Kleidung, Parfüms, Reisen oder andere Statussymbole zu finanzieren. Deshalb versuchen Büroangestellte, nebenbei Kosmetikartikel und Haushaltswaren in ihrer Firma an Kollegen zu verkaufen. Dort, wo die Mittelschicht wohnt, gibt es zwar Straßennamen und Hausnummern, aber auch hier bleibt die Anonymität gewahrt, denn am Klingelknopf stehen keine Namen, sondern nur die Apartmentnummern. In Caracas haben die Häuser Namen anstatt Nummern. Das Namensschild des Bewohners fehlt auch hier. Dadurch, dass sich die Mieter in anonymen Hochhäusern untereinander nicht kennen, kommt es oftmals zu kriminellen Handlungen in der Parketage. Jugendliche montieren im Dunkeln Autos auseinander oder überfallen Mitbewohner. Mitunter sind auch Drogen im Spiel.

Isolation durch Reichtum

Eine Parallele zwischen Reichen und Armen in Venezuela: auch sie wohnen auf Bergen, die öffentliche Verkehrsmittel nicht ansteuern. Nur verhält es sich umgekehrt: die Superreichen wohnen am höchsten Punkt des Berges und die etwas weniger Betuchten an den tieferen Hängen. Handelt es sich um einen kleineren Berg mit nur einer oder zwei Zufahrtsstraßen, so kontrollieren hier oft »vigilantes«, d.h. Privatpolizisten, die Zufahrt. Die höhere Wohnqualität macht sich sofort bemerkbar. Die Luft ist nicht so verpestet wie in der Stadt, und die Straßen geben nicht so ein verstopftes Bild ab. Der Ausblick auf Caracas ist wunderschön, bei Tag und auch bei Nacht, wenn die Lichter funkeln. In dieser Gegend kann man noch dem Wind lauschen. Doch wo es Vorteile gibt, sind die Nachteile nicht weit.

Ein Nachteil ist der lange Weg in die Stadt, zum Arbeitsplatz oder Supermarkt. Vom Berg gelangt man zügig an den Stadtrand, und von dort quält man sich durch die »hora pica«, die Hauptverkehrszeit. Viele Begüterten erlangten ihren Reichtum durch Arbeit, andere durch Korruption. Die Kinder der Reichen zeigen offen, wer sie sind. Sie fahren schnelle Autos, tragen die letzte Mode, trinken importierten Whisky, laden zum Wochenendtrip auf ihrer Jacht ein und lassen die Puppen tanzen. Besonders die Mittelschicht tituliert sie als »Sifrinos«, was wir mit Yuppie übersetzen würden. Zur gehobenen Gesellschaft gehören diejenigen, die eine Immobilie in den USA besitzen und über deren Feiern die Presse berichtet.