Inseldenken
Die "Island Mentality"
Traditionen und Gewohnheiten
So ticken die Briten
Egal, ob es um Essen, Sport oder Politik geht, die Briten lieben und kultivieren ihre kleinen Macken. Jedes Mal, wenn ich über eine neue Seltsamkeit den Kopf schüttelte, lächelte eine Kollegin verständnisvoll und erklärte: "Weißt du, wir haben einfach zu lange auf einer Insel gelebt."
Doch bei einem derart sturen Volk wäre es sogar vorstellbar, es hätte die letzten zweitausend Jahre inmitten Europas zu Hause sein können und wäre trotzdem keinen Zentimeter, Entschuldigung: Inch, von seinen Gewohnheiten abgewichen.
Natürlich ist vieles davon geschichtlich bedingt. Seit den Anfängen der dokumentierten Geschichte wurde die Insel ein ums andere Mal von Eroberern vom Kontinent überrannt. Zuerst waren es die Römer, später die Sachsen und schließlich die Normannen aus Frankreich. Ein gewisser Hang, sich einzuigeln, erscheint angesichts dessen als Selbstschutzmaßnahme nachvollziehbar auch wenn heute die überwiegende Mehrzahl der Briten nicht von den "Ureinwohnern", sondern von eben diesen Eroberern abstammt.
In der neueren Geschichte befand sich England dann stets im verbissenen Wettkampf mit dem ein oder anderen Volk vom Kontinent: Spanier, Franzosen und zuletzt die Deutschen in den beiden Weltkriegen. Diese Erfahrungen müssen wohl bis heute prägend sein.
Darauf, dass auf der Insel noch immer Linksverkehr herrscht, dürfen deren Bewohner ruhig ein bisschen stolz sein, erinnert dies doch daran, dass England als so ziemlich einziges europäisches Land nicht von Napoleons Armeen erobert wurde. Der war es nämlich erst, der in seinem gesamten Herrschaftsgebiet den Rechtsverkehr verbindlich machte. Aber muss man es deswegen allen Ausländern und sich selbst, sollte man sein Land einmal verlassen denn unnötig schwer machen, im Straßenverkehr zu überleben, weil man von Natur aus den Kopf erst mal in die falsche Richtung dreht? Und ganz im Ernst, mit Sicherheit würde die Umstellung auf die "richtige" Straßenseite nicht dazu führen, dass auf einmal erneut tausende kriegerische Europäer ins Land einfallen und alles kurz und klein schlagen würden.
Ähnliches gilt für das metrische System. Das ist zwar mittlerweile auch in Großbritannien offiziell eingeführt, doch naja, offiziell war auch die DDR demokratisch. Sein Bier bekommt man immer noch im Pint (auch wenn auf den Flaschen jetzt 568 ml steht) und seine Längenangaben in Inches, Yards und Miles. Selbst Geldwerte rechnen Engländer einem immer noch gerne in die alten Währungen Shilling und Pence um und bestehen darauf, dass dies das viel bessere System war, ungeachtet der völlig konfusen Umrechnungen (1 Pfund = 20 Shilling = 240 Pence).
Komplett absurd wird es schließlich, wenn es ums Essen geht. Mag die Macht der Gewohnheit auch noch so stark sein, sie rechtfertigt bestimmt nicht das Überleben von Dingen wie Black Pudding, Minzsoße und fettgetränkten Kartoffelstreifen. Hierzu muss man jedoch fairerweise sagen, dass Großbritannien in kulinarischer Hinsicht, den Einwanderern aus der ganzen Welt sei´s gedankt, ansonsten mittlerweile ein sehr offenes Land ist.
Ganz Europa?
Als die Römer ganz Frankreich in ihrer Gewalt hatten, gab es da dieses kleine gallische Dorf, das sich tapfer gegen die feindliche Übermacht wehrte. Seine wackeren Bewohner fürchteten nur eines: dass ihnen eines Tages der Himmel auf den Kopf fallen könnte. Heute, in Zeiten, da ganz Europa zu einem Staatenbund zusammenrückt, gibt es da diese kleine Insel, die sich vehement sträubt. Und auch die Menschen dort haben nur vor einer Sache Angst: den gesichtslosen Bürokraten in Brüssel.
Zugegeben, es geht den Briten in wirtschaftlicher Hinsicht ein bisschen besser als dem Rest Europas. Das Pfund ist stabil und steht gut im Kurs. Da mag man seine berechtigten Bedenken zum Beitritt in die Währungsunion haben, keine Frage. Aber die Abneigung, mit der "der Kontinent" von der Insel aus betrachtet wird, bewegt sich fernab logischer Einwände und wirtschaftlicher Erwägungen.
Den Anfang vom Ende stellte in den Augen vieler Briten die Fertigstellung des Eurotunnels am 1. Dezember 1990 dar, der Dover mit Calais und damit Großbritannien mit dem europäischen Festland verbindet. Ein Aufschrei ging durch die Bevölkerung. Man hatte Angst, angegliedert und seiner Identität beraubt zu werden.
Dabei war das Vereinigte Königreich zu diesem Zeitpunkt schon längst der EU beigetreten und das nicht etwa auf Bitten und Drängen seitens der Festlandstaaten hin. Ganz im Gegenteil, erst der zweite Antrag auf Mitgliedschaft wurde von diesen mit Wirkung ab 1. Januar 1973 angenommen.
Als Privileg wurde die Zugehörigkeit seither allerdings nie betrachtet, eher als eine Mischung aus Klotz am Bein und ernsthafter Bedrohung. Während England und die USA sich politisch seit Jahren auf einem Kuschelkurs befinden, ernten europäische Spitzenpolitiker von Jacques Delors ("Up yours, Delors", schrieb die Sun 1990) bis Jacques Chirac nichts als Hohn von der bunten Inselpresse.
Doch genug von Geschichte und Politik und zurück zum Alltag. Erfreulicherweise kann man sagen, dass die Europa-Angst der Insulaner sich im Wesentlichen auf so abstrakte Dinge wie Staatenbündnisse und Unterseetunnels bezieht. Es ist mir noch nie passiert, dass Leute panisch schreiend vor mir davonliefen, als sie hörten, ich sei Europäer. Genauso wenig musste ich mir Beschimpfungen oder Handgreiflichkeiten gefallen lassen.
Und als kleiner Trost sei zum Schluss noch gesagt, dass von der Xenophobie der Briten nciht einmal diese selbst verschont bleiben. Ein Waliser hasst nichts mehr als englische "Einwanderer", Schottland strebt seit Jahren die Unabhängigkeit an und in England gibt es den weit verbreiteten Ausdruck: "Could be worse, could be Welsh."