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Sicherheit

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Sicherheit und Privatsphäre

Überwachung, Datenschutz, Kontrolle

Bei dem Wort "Big Brother" denken heute die meisten Menschen an Zlatko und Jürgen. Doch der Ausdruck ist keine Neuschöpfung holländischer Reality-Soap-Produzenten, sondern wurde zum ersten Mal von George Orwell geprägt. In dessen Roman "Nineteen Eighty-Four" ist Big Brother der Herrscher des totalitären Staats Oceania mit dem Slogan "Big Brother ist watching you." Im Englischen hat sich der Begriff seitdem zu einem Synonym für staatliche Überwachung und Kontrolle entwickelt.

Überwachungskameras

Wie allgegenwärtig der große Bruder in England tatsächlich ist, fällt jedem Touristen schon auf dem Weg vom Flughafen zum Hotel auf. In der Wartehalle, im Bahnhof, am Schnellimbiss, an jeder Straßenecke finden sich Sicherheitskameras mit der Aufschrift "CCTV", kurz für "Closed Circuit Television." Sie nehmen rund um die Uhr das Geschehen in ihrem Blickfeld auf und können im Bedarfsfall ausgewertet werden. Vielerorts ist das Netz so dicht, dass beispielsweise oben genannter Tourist zu jedem Zeitpunkt von mindestens einer Kamera erfasst würde.

Für die einen eine effektive Maßnahme zur Verhinderung von Verbrechen und Terrorismus, für die anderen ein Eingriff in die Privatsphäre und eine ungeheure Verschwendung staatlicher Mittel, ist CCTV ein umstrittenes Thema. Der genaue Einfluss auf die Kriminalitätsrate lässt sich schwer feststellen; Statistiken und Untersuchungen sind selten eindeutig und fast immer von der einer der beiden Interessengruppen beeinflusst.

Die Art und Weise, wie die Überwachungskameras teilweise eingesetzt werden, darf allerdings in Frage gestellt werden. So druckte, als ich in Peterborough wohnte, die städtische Zeitung je Ausgabe eine Seite mit hochauflösenden Bildern von "mutmaßlichen Tätern." Diese sollten "littering" betrieben, d.h. zum Beispiel die Verpackung ihres Schokoriegels in der Straße fallen gelassen haben.

In Anbetracht dieser Bilder muss man sich fragen, ob der freundliche Warnspruch "Smile – you´re on CCTV", der an vielen öffentlichen Plätzen zu lesen ist, nicht einfach bitterem, englischen Zynismus entspringt.

Kampf gegen den Terror

Wie überall sonst in der westlichen Welt hat auch in England ein Datum das Verhältnis der Nation zur Sicherheit drastisch verändert. Seit dem 11. September 2001 kennt man die Angst vor dem Feind im Innern, vor Bomben und Giftgas – und vor dem Islam.

Für die vielen britischen Moslems hat dies weitreichende Folgen. Neben allgemeinem Misstrauen seitens der Gesellschaft haben sie auch zunehmend mit Gesetzen zu tun, die von vielen als diskriminierend empfunden werden. So wurde einer meiner pakistanischen Freunde auf Grundlage eines solchen Anti-Terrorismus-Gesetzes in London von der Polizei über eine Stunde angehalten und ausgiebigst durchsucht.

Doch auch an anderen Stellen lassen sich die Veränderungen seit "Nine Eleven" feststellen. Plätze des öffentlichen Verkehrs wie Bahnhöfe oder U-Bahn-Stationen sind potentiell am anfälligsten gegen Bombenanschläge. Um solche zu verhindern, hat sich die englische Regierung folgendes einfallen lassen: Alle Mülleimer kommen weg. Geniale Idee, wirklich, jetzt kann kein böser Terrorist seine als Kaffeebecher getarnte Bombe mehr neben meinem Abfall verstecken. Da fühlt man sich gleich viel sicherer.

Was mache ich jetzt allerdings mit meinem – echten, ungefährlichen – Kaffeebecher? In manchen Bahnhöfen stehen, wenn man Glück hat, lebendige Mülleimer herum, Menschen mit einem großen Plastiksack, denen man seinen Unrat in die Hand drücken kann, damit diese ihn dann auf Gefährlichkeit überprüfen und entsorgen.

Findet sich gerade keiner dieser Helfer, so bleibt einem nichts anderes übrig als seinen Abfall mitzuschleppen. Ihn einfach liegenzulassen empfiehlt sich nur, wenn man das Bedürfnis hat, via CCTV in der städtischen Zeitung verewigt zu werden.

Neighbourhood Watch

Viele der englischen Sicherheitsmaßnahmen würden deutsche Datenschützer entsetzt aufschreien lassen. Natürlich treffen sie auch im eigenen Land auf Widerstand, doch ebenso finden sich viele Bürger, denen die Überwachung noch nicht weit genug geht. In vielen Gegenden schließen diese sich zur sogenannten "Neighbourhood Watch" zusammen, einer Organisation der Anwohner zum Schutze ihrer Nachbarschaft. Dabei wird festgelegt, wer wann und in welchen Fällen dafür zuständig ist, ein Auge auf die Straße zu haben bzw. die Polizei zu rufen.

Prinzipiell ist gegen eine solche Eigeninitiative nichts einzuwenden. Zumindest ein Missbrauch seitens des Staates ist dann schließlich nicht zu fürchten. Bedenklich ist allerdings, wie weit das Sicherheitsbedürfnis einiger Menschen geht. Die Vermieterin zweier meiner Kollegen führte zum Beispiel Buch darüber, wann sie welche Personen die Straße entlang gehen sah und versuchte anhand der Nummernschilder fremder Autos die Adressen von deren Besitzern herauszufinden.

So wie es bei George Orwell letztendlich weder eindeutig noch relevant ist, ob es den "Big Brother" als Person wirklich gibt oder nicht, scheint er auch in der Realität als Institution überflüssig zu sein. Es finden sich in jeder Nachbarschaft ohnehin genügend große Geschwister.