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Einführung

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Tradition und rauer Alltag

Der Norden Englands

Kramen wir die Karte Englands hervor und bewaffnen uns mit Lineal und Bleistift: wer jetzt ausgehend von Bristol eine Gerade in nordöstlicher Richtung über das Papier zieht, erhält ungefähr die Trennungslinie zwischen Geld, Besitzbürgertum, niedlichen cottages, gesundem Leben, Kultur sowie hohen Mieten im Süden und schmutzigen Industrien, hohen Kriminalitätsraten, unfruchtbarem Land, dichtgedrängten, überalterten Wohnungen und Labourstimmen im Norden. Gewiss eine grob vereinfachende Darstellung der Lebensverhältnisse, aber wenn die britische Regierung nicht aufpasst, könnte diese Zweiteilung der Insel bald schmerzlichen sozialen Zündstoff entwickeln. Jedenfalls beobachten Statistiker schon seit geraumer Zeit eine deutliche Verlagerung der Bevölkerung in südöstlicher Richtung, und die ist auf die Dauer in der Lage, das demographische Gleichgewicht in Großbritannien empfindlich zu stören.

Bewegte Geschichte

Traditionelles Brauchtum ist im Nordwesten viel stärker verankert als im reichen Süden; und Wales liegt eindeutig nördlich unserer imaginären Geraden. Dabei blicken Nordengland und Schottland auf eine reiche Geschichte zurück: entwickelte sich doch im Dreieck Birmingham, Leeds und Manchester im 18. Jh. der Wirtschaftsliberalismus, eine Erfindung der hiesigen frühkapitalistischen Manufakturbesitzer. Gleichzeitig lernten die kleinen Handwerker lesen und schreiben wie auch den Umgang mit Politik, Freiheit und verbrieften Rechten.

Die Schriftsteller der Nordens leugnen diese Tradition keineswegs: D.H. Lawrence wächst zu Anfang des Jahrhunderts in einem halb ländlichen, halb industrialisierten Milieu auf, wo sich der Held in der Grubenarbeitersiedlung aufs Fahrrad schwingt, um seinem Liebchen auf einer idyllischen Farm den Hof zu machen.

Der Norden heute

Diese Welt gehört keineswegs bereits der Vergangenheit an: vom Kern der Stahlstadt Sheffield aus erkennt man heute noch die umliegenden Felder und die Vermutung drängt sich auf, dass das englische Proletariat nie zu einer urbanen Lebensweise gefunden hat. Mehr als anderswo trifft man im Norden auf jene Gartenkolonien am Rand der Städte, wo Enten, Kaninchen und Tauben gehalten werden wie frühere Generationen es auf ihren Bauernhöfen praktizierten. Schutthalden und Weizenfelder gehen eine bizarre Ehe ein.

Der Norden ist mehr als eine geographische Größe: er bezeichnet einen Geisteszustand, der von Mut und unerschütterlicher guter Laune zeugt. Und seine Bewohner lehnen alle Veränderungen dankend ab, die eine Anpassung an die Verhältnisse im Süden zur Folge hätten. Den empfinden sie nämlich gleichsam als homogenisiert, pasteurisiert; und wer wollte damit schon tauschen!