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Big Ben

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Was sagt uns ... Big Ben…

… House of Commons und House of Lords?

Der Name bezieht sich auf die 13 Tonnen schwere Hauptglocke des Uhrturmes und soll Benjamin Hall ehren, der seinen Bau leitete. Bens Stundengeläute, das die BBC noch live überträgt, liegt eine Komposition Händels zugrunde. Seine Zeit wird stdl. nachgestellt, angeblich indem man einen Haufen (britischer) Münzen auf dem Plateau des Uhrenpendels vergrößert oder -kleinert. Was alles nichts half am Freitag, dem 27. Mai 2005. Da blieb Big Bens große Uhr um 22.20 Uhr für eineinhalb Stunden stehen – laut der Times zum vierten Mal in 147 Jahren. Gemutmaßt wird, es habe an der Hitze gelegen: Dieser Freitag war mit 31 Grad der heißeste Maitag seit 1953.

Visitors´ Galleries. Das Parlament besteht aus zwei „Häusern“. Beide unterhalten Visitors´ Galleries, die sich bei Wahlvolk wie Touristen regen Zuspruchs erfreuen. Ober- und Unterhaus kommen nur einmal jährlich zusammen, zum zeremoniellen Opening of Parliament durch die Königin im Nov. Ob die Häuser gerade „sitzen“, erkennt man bei Tage an einer Fahne auf dem Victoria Tower, nachts am hellen Licht auf dem Glockenturm. Sitzungsferien dauern von Ende Juli-Mitte Okt sowie je drei Wochen an Ostern und Weihnachten.

Sitzungszeiten: House of Commons Mo 14.30-22.30h, Di-Do 11.30-19.30h, Fr 9.30-15h. House of Lords Mo-Mi ab 14.30h, Do ab 11h, Fr gelegentlich, Sitzungsende nach Bedarf. Eintritt jeweils frei.
Sitzungsferien: Führung (1¼ Std) durch beide Häuser 12/8 €, auf deutsch plus 3 €, ab St Stephen´s Hall Mo/Di/Fr/Sa 9-16.30h, Mi/Do 13-16.30h; auf deutsch tgl. 11.45/14/15.45h. Karten: T. 0870/906 3773, www.keithprowse.com.
House of Commons. Um einer Debatte im Unterhaus beizuwohnen, reiht man sich zu Sitzungszeiten in die Schlange (oft 1-2 Std Wartezeit) vor St Stephen´s Hall ein. Taschen, Rucksäcke und Kameras sind vor dem Sicherheits-Check an der Garderobe abzugeben. 2004 wurden die Kontrollen verschärft (siehe Raus hier!).

Wem das Unterhaus zu eng erscheint, der hat gut beobachtet. Es gibt nur 437 Sitzplätze für (nach etlichen Wahlkreisreformen mittlerweile) 659 Abgeordnete. Bequem sieht anders aus! Vom speaker aus gesehen quetscht sich die Regierungspartei auf den rechten und die Opposition auf den linken Bänken – die Strafe des Zeremoniells für einen allzu deutlichen Wahlsieg. Der Streifen, der beide Parteien trennt, wurde so bemessen, dass man mit einem Degen nicht hinüberfuchteln kann. Früher war das durchaus sinnvoll, heute fliegen die Fetzen nur noch verbaliter, zumal wenn die TV-Kameras abgeschaltet sind.

Debatten. Das Tagesthema der jeweiligen Unterhaus-Debatte entnimmt man der Times; ein Blick am Kiosk auf die letzte Seite genügt. Wir versprechen Zaungästen einen anderen Unterhaltungswert als im Bundestag. Jeden Mi ab 12h muss der Premier dem Parlament Rede und Antwort stehen. Für diese allseits beliebte Question Time besorgt man sich Karten über die eigene Botschaft weit im voraus.

Übrigens: Dies ist das einzige Haus in England, zu dem die Queen keinen Zutritt hat – sie ist kein commoner.

Parlament heute: Raus hier!

Seit Frühjahr 2004 ist das Allerheiligste der britischen Demokratie mit Panzersperren und Stacheldraht verbarrikadiert. Das soll Terroristen abschrecken, scheint Menschen guten Willens aber magisch anzulocken. Im Mai 2004 überwinden zwei Greenpeace-Aktivisten alle Sperren und klettern mit Seil und Haken den „Big Ben“ hinauf. Dort baumeln sie, bis die Weltpresse das ausführlich photographiert hat, zwischen den Zeigern – aus Protest gegen Blairs Irakkrieg. Wenige Tage später werden Sitzungsbesucher im Parlament auffällig. Von der Galerie aus bewerfen sie Premier Blair mit Kondomen voll violett gefärbten Mehls – aus Protest gegen die Benachteiligung geschiedener Väter. Im Sep 2004 dringen acht Männer gar in den Plenarsaal vor und beschimpfen wüst die Parlamentarier – aus Protest gegen die Abschaffung der Fuchsjagd. Laut Protokoll erhebt nur MP Sir Patrick Cormack seine Gegen-Stimme: Mit „Raus hier!“ sichert er sich einen Platz in den Annalen. Die Eindringlinge, unter ihnen Otis Ferry, 22, Sohn des Roxy-Musikanten-Bryan Ferry, werden später zu Bewährungsstrafen von 18 Monaten und 600 € Bußgeld verdonnert, und ums Parlament gelten seither nochmals strengere Sicherheitsmaßnahmen, inklusive bewaffneter Bobbies.

House of Lords. Auch im Oberhaus sind Besucher zugelassen. Diese Veranstaltung ist aber dröge, wenn man nicht besondere Freude an Ritualen findet, etwa dem Lord Chancellor, der Debatten auf einem Wollsack vorsitzt. So kann sich niemand der Einsicht verschließen, dass Englands Reichtum vom Wollhandel stammt.

Westminster HallIm Nordflügel des Parlaments. Zugang frei.

Heute dient die leerstehende Halle den Abgeordneten nur als Durchgang ins Freie, doch welche Dramen ranken sich um sie! Das beginnt beim Bau, dessen Urfassung 1099 eröffnet wurde. Zwei englische Manien prägen auch Westminster Hall: der Stilmischmasch und das Einbetten historischer Denkmäler in moderne Hochbauten. Dennoch vermittelt sie einen Eindruck von den Dimensionen jenes Palace of Westminster, den die Könige bis 1520 als Residenz nutzten. Von hier aus dehnte er sich in alle Richtungen aus, eine Stadt für sich, mit 5000 Bewohnern, bis in unmittelbarer Nähe der Whitehall Palace hinzu kam.

Die gotische Halle, ein Prachtstück früher Zimmermannskunst, stand einst im Mittelpunkt des Palastlebens. Unter meterdicken Eichenbalken, die das wuchtige Dach tragen, wurden prunkvolle Feste gefeiert, Gesandte empfangen und Speisen sonder Zahl vertilgt. In ihrer heutigen Form stammt Westminster Hall aus den Tagen Richards II.; zwischen diesen Balken dankte der unglückliche König 1399 zugunsten von Herrn Bolingbroke ab, wodurch der Frondeur aus dem Hause Lancaster zu König Heinrich IV. wurde. Shakespeare griff das Ereignis im bewegenden Monolog von Richard II. auf:

Merkt auf, wie ich mich nun vernichten will.
Die schwere Last geb´ ich von meinem Haupt,
Das unbeholfne Zepter aus der Hand,
Den Stolz der Herrschaft aus dem Herzen weg,
Mit eignen Tränen wasch´ ich ab den Balsam,
Mit eignen Händen geb´ ich weg die Krone,
Mit eignem Mund leugn´ ich mein heil´ges Reich.

1265 zog das Parlament vom Chapter House der Abtei in die Westminster Hall um. Bis ins 19. Jh. wurde darin Gericht gehalten, was etwa für Will Wallace 1305, Thomas Morus 1535, Guy Fawkes 1606 und Karl I. 1649 mit dem Todesurteil endete. Hier wurde Oliver Cromwell 1653 zum Lord Protector berufen. Zwar entging die Hall der Pulververschwörung 1605, doch Hitlers Bomben war sie schutzlos ausgeliefert. Im Mai 1941 mussten die Unterhaus-Abgeordneten darum auf die roten Ledersitze des Oberhauses umziehen – entgegen der Tradition!