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Bloomsbury

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Bloomsbury Group

Die Welt der Virginia Woolf

Unsere Londoner Ecke ist soviel besser als die anderen. Hier atmen wir so gute Luft, dass ich nirgendwo anders leben möchte. Kein anderer Stadtteil wäre für meine Kinder geeignet. Mr. Wingfield denkt, dass die frische Luft von Bloomsbury außerordentlich zuträglich ist.

Dass die Welt in Bloomsbury anders ist, sah schon 1814 Jane Austens Emma so. Da klingt Ironie mit, doch es verrät einen Anspruch, der fortbesteht: das einzig wahre Viertel zu sein. Eines, das Medizinschulen, TV-Sender und Buchverlage um das Museum im Lande versammelt. Seriös sind auch all die Hotels, in denen Fachleute aus aller Welt absteigen. So viel gedankenschwere Seriösität schlägt tiefe Wurzeln.

Fitzroy Square. Zum Beispiel in der Bloomsbury Group, jener mondänen Freundesclique, die in den 1920er Jahren Londons Geistesleben beherrschte. Es waren lauter Berühmtheiten, die sich da am Fitzroy Square trafen. Etwa Virginia Woolf (1882-1941), die bekannteste Vertreterin. Oder John Maynard Keynes (1883-1946), der Nationalökonom. Leonard Woolf (1880-1969), der engagierte Sozialist, seit 1912 mit Virginia verheiratet. Ihre Schwester, die Malerin Vanessa Bell mit Gemahl Quentin, einem Kunstkritiker. Die Maler Roger Fry und Duncan Grant. Die schillernde Lyrikerin Victoria Sackville-West (1892-1962), Tochter eines Barons, Enkelin einer spanischen Zigeunertänzerin, nach langer Persienzeit Gründerin der Sissinghurst Gardens in Kent. Sodann Edward M. Forster (1879-1970), der weitgereiste Romancier und leidenschaftliche Public Schools-Hasser. Endlich Lytton Strachey (1880-1932), der exzentrische Generalssohn, Biograph der Viktorianer und Mittelpunkt der Gruppe. Dieser Zirkel übte einen mächtigen Einfluss auf die britische Intelligentsia aus, da jeder Einzelne auf seinem Gebiet glänzte.

Virginia & Victoria: Is Love a Battlefield?

Nicht zuletzt wurde die Bloomsbury Group durch die Komplexität ihrer Liebschaften bekannt, die seither eine Fülle von Erinnerungen, Biographien und Gegen-Biographien inspirierte. Bis heute streiten Klatschbasen und Erben erbittert über die wahre Natur der Gefühle von Roger für Vanessa, von Duncan für Roger, von Virginia für Victoria, von Maynard gegen Virginia. So zahlreich sind die Bücher zum Thema, dass es laut P. G. Wodehouse schwierig wäre, einen Stein über den Russell Square zu werfen, ohne jemanden zu treffen, der nichts darüber verfasst habe. Im März 2002 erhielt der Platz hinter dem British Museum übrigens einen neuen Springbrunnen, hinter dem Autoren sich jetzt wenigstens ducken können.

Bedford Square. Parallel zur B-Group diskutierte zwei Straßen weiter ein ähnlich erlesener think tank: Im Salon von Ottoline Morell am Bedford Square (1775-80), der als einziger georgianischer Platz vollständig erhalten blieb. Mit ihrem Geliebten Bertrand Russell empfing Lady Ottoline hier u.a. Aldous Huxley, D. H. Lawrence, E. M. Forster und den Tänzer Nijinski.

Gordon Square. Zum „Weg der Literatur“ geriet indes die Straße östl. von U Euston Square. Zu verschiedenen Zeiten wohnten hier Dora Carrington, Tänzerin, und Lydia Lopokova, künftige Gattin von Maynard Keynes (No 41), Keynes selbst, Vanessa Bell und Fam. Woolf (46), Lytton Strachey (51) und Bertrand Russell (57).

University of London. 100m südl. vom Gordon Square wurde dem Geistesleben 1836 ein besonderer Tempel geweiht. Da jüngeren Datums als die Rivalinnen in Cambridge und Oxford, konnte diese Universität die liberale Karte ausspielen. So durften Nicht-Anglikaner in Oxford erst ab 1860, Frauen in Cambridge ab 1949 Kurse belegen, in einem getrennten Gebäude. Dagegen öffnete die U-of-L ihre Pforten sogleich auch Juden und Katholiken, etwas später (1878) sogar Frauen.

Film. Wem das Senate House (Malet St) der Universität bekannt vorkommt: Der monolithische Turm aus den 1930ern dient in 1984, dem Film zum Orwell-Roman (1983, mit William Hurt), als Ministerium der Liebe. Verkehrt war die Ortswahl nicht, denn in diesem Massivhaus (heute Bibliothek der U-of-L) wollte Hitler sein britisches Hauptquartier aufschlagen. So jedenfalls seine Planung für die Zeit nach dem „Endsieg“.