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Feuer / Pest

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Die Große Pest, das Große Feuer

1665-1666

Wieso entdeckt man kein Mittelalter in London und wenig aus der Tudorzeit? Zwei Katastrophen vernichten Mitte des 17. Jhs. jede Spur davon. Deren erste, die Pest, wird durch Flöhe übertragen, die sich im Rattenfell einnisten. Und an Ratten mangelt es im London dieser Zeit nie. 1348 hatte The Great Plague fast die Hälfte der Bevölkerung dahingerafft. Ende 1665 schägt sie erneut zu, von kleineren Ausbrüchen mal zu schweigen. Ein Reisender notiert im Dez 1665 in seinem Tagebuch:

Die Pest verbreitet sich weiter. Jede Woche sterben 2000 Menschen. Ich habe selbst die düsteren Gässchen durchmessen, wo sich die Särge stapeln. Die Geschäfte sind geschlossen, überall herrscht stille Trauer. Keiner weiß, wann seine Stunde schlagen wird.

Zuletzt wurde London 1963 beim Bau der U-Bahnlinie Victoria an die Pest erinnert, als Bohrmaschinen zuhauf morsche Knochen aus einem Massengrab beim Green Park spieen. Wie tief sie im Kollektivgedächnis steckt, erkennt man auch an Kinderreimen (siehe Einführung) und am Zeremoniell der City. Seit 1665 paradiert ihr Lord Mayor jährlich mit einem Lavendelstrauß durch die Stadt, zum Gedenken an jene Tage, da Blumenduft als einziger Schutz gegen den Leichengestank diente. Binnen sieben Monaten fordert die Pest fast 100.000 Opfer, bis eine andere Katastrophe die Krankheit für immer aus der Stadt bannt.

The Great Fire

Am So, 2. Sep 1666, bricht gegen 2h im vorübergehend unbewachten Backofen von Farriner´s Baking Shop in der Pudding Lane, EC3, ein Brand aus. Als der Lord Mayor davon in Kenntnis gesetzt wird, brummt er, es solle „von einem Marktweib ausgepisst werden“, und haut sich aufs andere Ohr. Was dann geschieht, schildert Samuel Pepys, ein hoher Funktionär der Admiralität, von All Hallows by the Tower aus:

Mit zunehmender Dunkelheit wird eine grausige, blutrote Flamme über den Türmen sichtbar. Sie trägt Verderbnis zwischen die Häuser und Kirchen, soweit der Blick vom Hügel der City aus reicht. Als wir weiter gehen, bildet die Feuersbrunst einen riesigen Flammenbogen zu beiden Seiten der Brücke, ein zweiter Bogen spannt sich mindestens eine Meile weit über den Hügel. Bei diesem Anblick breche ich in Schluchzen aus.

Wiederaufbau

Der Wiederaufbau zieht sich über 20 Jahre hin. Das nötige Kleingeld verschafft sich die Stadt, indem sie Importkohle im Hafen mit Steuern belegt. 1667 beschließt das Parlament den Rebuilding Act und ernennt Christopher Wren (1632-1723) zum verantwortlichen Baumeister. Wren plant 51 Kirchen und die neue Paulskathedrale selbst, überlässt den Bau von weiteren sieben seinen Assistenten Hawksmoor und Vanbrugh.

Schon eine Woche nach dem Brand legt Wren seinen „Gesamtplan“ der neuen City vor. Danach sollen gradlinige Alleen auf geometrisch angelegte Plätze münden und wichtige Denkmäler hervorheben. Doch die Geschäftsleute, die ihre Häuser auf den alten Fundamenten aufbauen wollen, setzen sich durch. So erinnert die gewundene Straßenführung ans mittelalterliche London, besonders südöstlich von St Paul´s: Man muss sich nur die Gebäude entlang der Maria Lange Lane, Amen Court und Paternoster Row wegdenken.

Die Behörden machen 1667 nur eine Auflage für den Wiederaufbau: Kein Holz mehr! Jakob I. bestimmt, dass fortan Ziegel zu verbauen seien, da dauerhaft, feuerfest und außerdem schön. Nach dem Brand entstehen allenthalben private Feuerwehren. Wer zum Förderkreis einer Wehr gehört, pflastert ihr Siegel in die Mauer seines Hauses, wo es teils bis heute sichtbar ist. Nur noch Geizhälse riskieren, dass ihre Behausung abbrennt.

In den Augen der Londoner erlangt Wren heldenhafte Größe. Am Vorabend des Brandes 34 geworden, hat „Sir Chris“ zwar in Oxford studiert, aber nicht Architektur, sondern Mathematik und Astronomie. Er begeistert sich für Italiens Renaissance und macht ohne Scheu Anleihen bei kontinentalen Baustilen, denen er eine eigene Note verleiht. Auf viele Kirchen setzt er schlanke Spitzen statt der alten Trummtürme. Seit 1723 wurden von Wrens Sakralbauten 25 wieder zerstört, meist durch den blitz. Doch weiterhin gilt die Inschrift auf seinem Grab in St Paul´s: „Wenn du sein Denkmal suchst, schau dich um.“

(Oder in neueren Zeiten: Klick auf www.london-city-churches.org.uk.)

Samuel Pepys: Chronist des prallen Lebens

Der Bursche ist korrupt, eitel und ein frecher Karrierist. Er verhaut seine Hausangestellten und auch seine Frau, wenn er nicht gerade hinter anderen Röcken hersteigt. Aber vor allem schreibt Samuel Pepys (1633-1703) wie besessen Tagebuch: von 1660 bis 1669 über 3000 Seiten voll in einer Art Börsen-Steno. Als die Nachwelt diesen Schinken 1825 endlich entziffert, liegt vor ihr das saftigste Sittengemälde aus dem englischen Barock. Pepys ergötzt sich darin an den Ausschweifungen bei Hofe, bereichert sich schamlos (und führt säuberlich Buch über Bestechungsgelder), plagt sich mit Verdauungsbeschwerden, spielt mehrere Instrumente, lässt keine Theateraufführung aus (es ist Shakespeare-Zeit) und kaum eine Hausmagd, kehrt aber stets reumütig zu Weib und Kirche zurück. Eine köstliche Lektüre.

Auch Daniel Defoe wird zum Zeugen des Großbrands. Der Erfinder von Robinson Crusoe beschreibt ihn in einer Weise, die auch auf den blitz 1940 zutreffen könnte; tatsächlich setzt die London-Mythologie beide Ereignisse häufig in Verbindung.

Billingsgate wurde an einem Samstag vom Feuer angegriffen, die Kirchen fielen am Sonntag, die Denkmäler stürzten, die Gebäude brachen zusammen. Von Entsetzen gepackt, flohen die Londoner aufs Land.

Nach dem trockenen, heißen Sommer 1666 wirkt die größtenteils aus Holz gebaute City wie Zunder. Ein Sturm trägt dazu bei, dass die Flammen vier Tage lang lodern. Als sie endlich unter Kontrolle sind, steht von der City noch ein Fünftel, ein Inselchen im Nordosten. St Paul´s liegt ebenso in Asche wie 87 Kirchen, 44 Gildehallen, 13.000 Häuser und zahllose Kunstschätze. Wie durch ein Wunder fordert The Great Fire nur zwölf Menschenleben.