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East London

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East London

Wenn man von den Docklands absieht, die das schockierend Neue mitten ins kaputte Alte setzen, besteht Londons Osten aus tristen Vierteln wie Poplar, Bow, Hackney – und dem legendären East End. Hier kommt die Cockney-Tradition her, die ungeachtet aller Grabreden bisher alle Umbrüche überlebte. Einen Beleg dafür liefert der Erfolg der TV-Soap Eastenders, einer Bestandsaufnahme von Leben und Streben in einem armen Teil Londons.

East End: Gegend der Gegensätze

So nah der City, und doch so fern. Shoreditch, Hoxton, Spitalfields und Whitechapel, die vier Distrikte des East End, waren seit der Industrialisierung Arbeiterviertel, die nur einen Pluspunkt besaßen: billige Mieten. Das reichte aber für einen ständigen Zustrom an Einwanderern aus, der jedem Distrikt einen eigentümlichen Charakter bescherte. In den 1970ern wurden sie zu einem borough mit Sonderstatus zusammengefasst: Tower Hamlets ist ein Kunstprodukt, in dem das Nebeneinander von Überfluss (City) und Not oft zu Unruhen führte.

In Teilen der Hamlets zählte es bis in die 1980er zum Hobby junger Arbeitsloser, Symbole des Wohlstandes anzugreifen. Sofern sie sich nicht durch Punkmusik Luft verschaffte, schien diese Underground-Kultur einem eigenen Terminplan zu gehorchen:

Montag: Yuppies „auseinander nehmen“.

Dienstag: Kühlerfiguren von Limousinen der City reißen.

Mittwoch: Weinbars neu-reicher Angeber zu verwüsten, denen der Pub zu ordinär geworden war. Usw.

Die gewalttätige Spannung erinnerte an viktorianische Zustände, die Gegensätze prallten so brutal aufeinander, weil immer mehr City-Angestellte in Viertel mit Niedrigmieten strömten, wo sie auf Arme trafen, die unter Thatcher immer ärmer wurde. Doch wie stets siegte das Geld. Um 1990 stellte Whitechapel, diese fremdartige Mischung aus Alt und Neu, den Widerstand gegen die Ost-Expansion der City ein. Die working class findet Rückzugsgebiete noch weiter im Osten, während das East End zunehmend jung-dynamisch riecht.

Erst unter Tony Blair schwand (graduell) jene Kluft zwischen Reich und Arm (oft übersetzt mit „Weiß und Schwarz“), die Thatcher gern in Kauf genommen hatte. Nun erfreuen sich Touristen in Spitalfields und Whitechapel des kosmopolitischen Treibens, das ausgezeichnete asiatische Restaurants und bunte Märkte beschert. Doch bevor zu wohlige Gefühle aufkommen, bucht man einen Jack the Ripper-Walk.

Cockney: Mit Aristotle zum Weibe

Unter Viktorias Herrschaft, die andernorts so prunkvoll war, nahm das Elend im East End ungeahnte Ausmaße an. Das bezeugen die Werke von Charles Dickens, zahllose Berichte von Reisenden wie Gustave Doré und Theodor Fontane, aber auch Heerscharen mildtätiger Damen, die sich für verelendete Eastender einsetzten. Männer mussten sich auf der Straße als Gaukler oder Taschendiebe durchschlagen, Kinder boten Streichhölzer oder Liebesäpfel feil und Frauen ihre Körper.

Rhyming Slang. Wen wundert´s, dass die Polizei den fliegenden Händlern (costermongers) nicht wohlgesonnen war - und umgekehrt. Dieser misslichen Beziehung entsprang der rhyming slang, der für Ordnungshüter unverständliche Teil des Cockney-Codes. Dabei werden Worte durch zusammengesetzte Ausdrücke ersetzt, die sich darauf reimen, z.B. pleasure and pain statt rain; weasel and stoat (Wiesel und Frettchen) statt coat; dustbin lids (Mülleimerdeckel) statt kids.

Säufer betitelten ihre bottle großspurig als Aristotle, und wer von trouble and strife (Ärger und Streit) sprach, hatte (natürlich?) sein wife im Sinn. Im Laufe der Zeit ging oft das zweite Wort und damit der Reim verloren, was die Sache noch schwerer verständlich macht. Häufig gebraucht wird noch use your loaf (of bread) für head, oder your me best china (von china plate, Porzellanplatte) für mate (Freund).

Pearly Kings. Zugleich schuf diese missliche Beziehung die „Monarchie“ der Cockneys. Da bestimmten Händlern die Aufgabe zukam, zwischen Kollegen und der Polizei zu schlichten, trugen sie zur Erkennbarkeit zwei Reihen Perlmuttknöpfe. Nach und nach fügten sie ihrem Wams so viele Knöpfe an, dass er zuletzt davon übersät war.

Als sich das Verhältnis zur Obrigkeit besserte, machten sich die pearlies als Spendensammler für wohltätige Zwecke nützlich. Bis heute bewahren sie ihre Bräuche, Sippen und Hierarchien, samt König, Prinz und Prinzessin. In jedem borough wohnt eine Pearly-Sippe (siehe auch Pearly Harvest Festival/Trafalgar Square).