Machen wir ein Buch?

Reise, Sachbuch, Belletristik ...?
Alle interessanten Themen;
alles was bewegt.

Hier geht´s weiter!

Zweiter Krieg

Body: 

Der „Blitz“

1940-1941

Raketen gehen von Westen nach Osten herunter, auf der anderen Seite von Charlotte St. Wenige Sekunden später, ohne Vorwarnung, eine enorme Explosion. Uns bleibt noch Zeit, uns zu ducken, bevor die Fassade über unseren Helmen zerstiebt. (Graham Greene)

Die schrecklichste Nacht kam am 29. Dez 1940, einem Sonntag. 60 Brände, 200 Tote. Die Guildhall hatte kein Dach mehr, Ratszimmer und Ältestensaal waren zerbombt, Paternoster bis auf den Grund abgebrannt. Am 16. April fielen 100.000 Bomben auf die City. Der 10. Mai bedeutete das Ende für die wunderbare romanische Kirche im Templebezirk. Zertrümmert waren ihre herrlichen Grabfiguren, zerstört die Guildhall, beschädigt das British Museum, der Lambethpalast, die Residenz des Lord Mayor, das Rathaus, verwüstet all die Kirchen Wrens. (Paul Morand)

Hitlers „Blitzkrieg“ geht ab 7. Sep 1940 zuerst über den Docks nieder, wo er 15.000 Menschen tötet und drei Millionen Wohnungen in Mitleidenschaft zieht. Die Bombenangriffe, die 57 Nächte am Stück andauern und später bis zum 10. Mai 1941 auch tagsüber wiederkehren, machen ein Drittel der City dem Erdboden gleich. Wie das Große Feuer zerstört der blitz die meisten Kirchen, zwischen Trümmern bleibt allein St Paul´s stehen.

1944/45 geht die zweite Bombenwelle über das East End, durch unbemannte V1-Flieger (doodlebugs) und 500 V2-Raketen, Hitlers „Geheimwaffe“. Doch wie 280 Jahre zuvor richten die Londoner ihre Stadt mit Entschlossenheit und nicht ohne Humor wieder her. Hie und da hört man gar Erleichterung, einige viktorianische Scheußlichkeiten los geworden zu sein; niemand zeigt Bedürfnis nach.

Überleben im Untergrund: Bomben, Läuse und türkische Bäder

Einen Großteil des Krieges verbringen Londoner in der U-Bahn. Anfangs wird der Aufenthalt im Untergrund verboten, doch die Menschen reagieren britisch: sie kaufen ein Ticket und alles ist in Ordnung. Später dienen die Schächte auch offiziell als Bunker. So sollen am 27. Sep 1940 117.000 Menschen in der tube übernachtet haben. Allein der aufgegebene King William St-Tunnel fasst 100.000 Menschen, der blinde Ast von Aldwych ist Kindern vorbehalten.

Oft werden die Schächte aber zur Todesfalle. Am 17. Sep 1940 zerfetzt eine Bombe 20 Passagiere bei Marble Arch. Einen Monat später explodiert eine Bombe im Tunnel zwischen Kings Cross und Farringdon (80 Verletzte), doch die gusseiserne Röhre um den Westbourne, einen von Londons unterirdischen Flüssen, bleibt unversehrt. Nicht so wenig später in Balham, wo eine Wasserleitung bricht und 600 Menschen ertrinken.

Dutzende aufgegebener U-Stationen werden für öffentliche Dienste reaktiviert, z.B. Down St bei Piccadilly für die Bahnverwaltung. Dover St, die Haltestelle ö davon, wird zum Büro von London Transport; ihre Aufzugschächte nehmen später den Aushub der Victoria Line auf. Unter U South Kensington liegen extrem tiefe Schächte für eine nie verwirklichte District-Schnellbahn; im Krieg dienen sie den Ingenieuren von London Transport, die per Tunnel Verbindung zur Armeeleitung unter dem Museum für Naturgeschichte halten.

Während die meisten Londoner die Angriffsnächte bei haarsträubenden Verhältnissen verbringen (Läuse und verstopfte Klos sind ein stetes Problem), lassen es sich die Reichen in bomb-proof nightclubs wie unter dem Savoy oder in den türkischen Bädern unter dem Dorchester Hotel gutgehen. Cecil Beaton notiert im Dorchester:

Der Lärm von draußen wird erstickt von Glasgeklimper und Musik. Ach, welch bunte Mischung wir doch sind! Minister und ihre vornehmen Gemahlinnen, eisern-graue Brigadiers mit Kiefernknochen wie Beilen, kalbsähnliche Piloten auf Urlaub, Nutten bei der Arbeit, Schauspielerinnen natürlich, heruntergekommener Geldadel und Gebrauchtwagenverkäufer. Es könnte nicht wertloser sein.

Am 8. März 1941 fällt eine Zentnerbombe ins unterirdische Luxus-Café de Paris, das dem Ballsaal der Titanic nachempfunden ist. 34 von Beatons „wertlosen“ Nachtschwärmern kommen dabei um.

Bombenalarm: Arbeiter im Savoy

An manchem Ort hätte der Luxus der upper class in dreckigen Zeiten Bitternis erzeugt. Und in London? Während des Luftangriffs am 15. Sep 1940 führt der kommunistische Abgeordnete Phil Piratin 100 Arbeiter aus dem East End in den Savoy-Bunker. Laut Gesetz darf das Hotel ihnen den Zutritt ja nicht verweigern. Als der Angriff beendet ist, verlassen Londons Ärmste das Savoy – nicht ohne zu vergessen, das Personal mit Trinkgeld zu bedenken.