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Das rote Blütenblatt

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Das karmesinrote Blütenblatt

Äußerst spannender historischer Wälzer

cover

Das karmesinrote Blütenblatt | List Verlag 2004 | 1050 Seiten | 10,95 Euro | von Michael Faber


"Pass auf, wo du hintrittst! Du musst einen klaren Kopf behalten, wirst
ihn noch brauchen. Die Stadt, in die ich dich bringe, ist riesengroß und
labyrinthisch, und du bist hier noch nie gewesen..."

Wenn Michael Faber seinen Leser an die
Hand nimmt, fühlt dieser sich wohl ähnlich wie Ebeneza Scrooge mit seinen drei
Weihnachtsgeistern. Unsichtbar und geräuschlos folgt er seinem Erzähler

durch das London des Jahres 1874,
stets der interessantesten Person hinterher - wer oder was interessant und
von Wichtigkeit ist, bestimmt natürlich unser allwissender Führer und weist
uns stets zurecht, wenn wir der "falschen" Hure hinterhergaffen oder
"unverwandt auf den Schoß" des Hauptprotagonisten William Rackham
"starren".

Das mag unangenehm klingen, ist es aber nicht: Mehr als ein unsichtbarer Beobachter ist man als Leser in
keiner Lektüre. Neu ist es, einen Lehrer an der Seite zu haben, der im
direktem Kontakt zu uns steht, dem es bewusst ist, dass wir aus einer
anderen Zeit kommen und dass uns das Leben des 19. Jahrhundert nur aus den
Geschichtsbüchern bekannt ist.

Kein Wunder also, dass er uns gaffen und starren lässt. Ganz ehrlich, würden
wir es etwa nicht tun?

Die Hure Caroline, in deren Alltag wir zuerst eingeführt werden, führt
uns direkt zu Sugar, von Beruf ebenfalls Prostituierte doch gleichzeitig intellektuell
und gebildet. Eine Rarität, konnten Frauen dieses Standes für gewöhnlich
weder lesen noch schreiben geschweige denn über die aktuelle wirtschaftliche
und politische Lage diskutieren. Den Männern gefällt das - Sugar ist
begehrt. Dieser gute Ruf kommt auch dem faulen Möchtegern-Romancier und
Erben eines Parfümimperiums William Rackham zu Ohren. Bald schon ist er
ihren Künsten restlos verfallen
und will sie ganz für sich haben. William Rackham wird zu einem der
erfolgreichsten Unternehmer der Stadt und Sugar steigt mit ihm auf. Doch
erträgt sie die Fesseln des bürgerlichen Lebens nicht lange...

Ein durchaus anspruchsvoller
Roman
, nicht nur wegen seines langsamen Voranschreitens
(schrittweise wäre am treffendsten) und seiner Verweise, die einen gewissen
Grad an Bildung erfordern, sondern auch wegen dem Zeitaufwand, den man bei
über 1000 Seiten Lektüre einkalkulieren muss.

Wer einen erotischen Roman
erwartet, wird enttäuscht: Bei den wenigen Sexszenen handelt es sich um wortkarge,
distanzierte Beschreibungen die keineswegs den Anspruch einer erotischen
Lektüre erfüllen.

Negativ ist einzig und allein die Masse des Buches aufgefallen, die eine
Taschenbuchbindung nicht zu halten vermag und deshalb mitunter aus den müden
Händen rutscht.

Michael Faber als den "neuen Charles
Dickens"
zu rühmen, wie es vielfach geschehen ist, erscheint
mir unangebracht. Zweifellos jedoch war Charles Dickens das Vorbild, wie er
es seit vielen Generationen vielen Schriftstellern war. Geradezu dekandent
wird er übrigens im Roman auf Seite 134 erwähnt - im Gespäch zweier Huren:


"Bei mir warn schon die ganz großen Namen. Charles Dickens war schon bei
mir."

"Is der nich tot?"

"Nich der Teil, an dem ich gelutscht hab, Herzchen."

MM

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