Erklärung
Form ohne Funktion
Das Dome-Desaster
Pleite. 3 km flussab vom Naval College streckt Londons bizarrste Pleite zwölf eiserne Fühler gen Himmel. Eigentlich sollte sie North Greenwich, die verwahrloste Landnase gegenüber Canary Wharf, aufwerten. Aber der Welt ein Zelt wozu?
Millennium Dome Blackwall, SE10. U North Greenwich. wwp.millenium-dome.com. Kein Zutritt, derzeit im Umbau.
Rogers. 1995 votierte die Regierung Major für diese Reise in die Zukunft, einen Mega-Dome samt Ausstellung zum Millennium. Dafür sollte Stararchitekt Richard Rogers ein Meisterwerk moderner Ingenieurskunst beitragen. Tatsächlich könnte unter seinem Zeltdach, dem größten der Welt, der Trafalgar Square mit den umliegenden Gebäuden fünfmal Platz nehmen. Proteste seriöser Architektenblätter, Rogers´ Konzept erinnere an Fliegende Untertassen aus den B-Movies der 1950er, wischte Majors Vize-Premier Michael Heseltine vom Tisch. Britische Modernisierungsangst eben.
Mandelson. Nach dem Machtwechsel 1997 schien Tony Blair der Fortführung des Tory-Projektes abgeneigt. Sein Minister ohne Dienstbereich, Peter Mandelson (heute EU-Kommissar), adoptierte es jedoch begeistert und stilisierte es zu einem Symbol für New Labour. Steckt in der Familie: Mandelsons Großvater hatte 1951 gegen breiten Widerstand das Festival of Britain durchgeboxt, das dann zum Symbol britischer Erneuerung nach dem Krieg wurde.
Von den Tories übernahm Mandelson ein schweres Erbe: wenig Planung, keine Verkehrsanbindung, unsichere Finanzierung. Sein eigener Beitrag war ein chaotischer Auswahlprozess, die Berufung von Führungskräften ohne Erfahrung, schließlich der seichte Inhalt. Blair wollte zum Millenium ein internationales Testament unserer Nation, modern und stark. Mandelson gab dagegen eine Agenda à la RTL-Frühstücksdirektor in Auftrag: tgl. Shows im Dome, dazu im äußeren Ring neun Themen-Segmente, etwa wie wir in Zukunft arbeiten, spielen, ruhen. Irgendwas lief dann arg aus dem Ruder, denn schon vor seiner Eröffnung wurde der Dome zum Symbol für alle, die gerne auf Regierung, Bürokratie und Kulturpolitik eindreschen.
Milliarden für den Umbau
Milliarden. Das fing bei den Baukosten an. Mit 1137 statt der budgetierten 674 Millionen wurde der Dome zum teuersten Projekt seit St Paul´s. Dass die National Lottery die Hälfte trug, mochte keinen trösten, als der Guardian vorrechnete, dass man dafür das Guggenheim Bilbao nebst aller Picassos hätte haben können statt einer Konstruktion mit 30 Jahren Lebensdauer.
Soweit kommt es gar nicht. Als der Dome zu Neujahr 2000 unter reichlich Pomp seine Portale öffnete, hatte die Betreibergesellschaft bereits fast alle Geldreserven aufgezehrt. Als er ein Jahr später dichtmachte, hatte die dürftige Millennium Experience 4,5 Millionen Besucher angelockt; kalkuliert worden war mit zwölf Millionen. Schon im Laufe des Jahres war der Betrieb mehrfach nur mit letzten Finanzspritzen aufrecht zu erhalten.
Im Nov 2000 kam die staatliche Finanzkontrolle zum Ergebnis, der Dome sei von Beginn an ein Desaster gewesen. Der Guardian empfand deren Bericht als vernichtendste Anklage gegen ein Regierungsprojekt der jüngeren Zeit. Tony Blair hatte schon beim Labour-Parteitag im Sep 2000 gestanden, dass Regierungen es unterlassen sollten, Besucherattraktionen zu betreiben.
Umbau. Seither grübelte halb London, was mit dem seltsamen Igel anzustellen sei. Fest stand lange nur eines: dass der Dome, obwohl längst geschlossen, pro Woche 250.000 an Unterhalt verschlang. Dann schwang sich 2004 die US-Investorengruppe Anschutz auf, rund 800 Millionen in einen Umbau zu stecken. Nun läuft´s auf eine Sport-Arena mit World-class Entertainment für bis zu 20.000 Zuschauer hinaus. Sie soll im Frühjahr 2007 eröffnen und spielte bereits eine Hauptrolle in Londons Bewerbung für die Olympischen Spiele 2012.
Selig eine Stadt, die so viel Geld im Niemandsland vergraben kann.