Sprachgeschichte
Das Bretonische im Schmelztiegel
Glück und Frieden
Mittlerweile scheint sich Falc´huns These trotz Schwächen in der Argumentation langsam durchzusetzen, und zwar auch in den Kreisen, die sie gestern noch bekämpften. Nach den Arbeiten (1965) der großen britischen Keltenforscherin Nora K. Chadwick hat 1980 in der Tat ein offenkundig endgültiges Buch die Diskussion (vielleicht vorübergehend) abgeschlossen: Les Origines de la Bretagne von Léon Fleuriot, dem hervorragendsten französischen Keltenforscher seiner Generation. Für ihn ist die Angelegenheit schon beim Einsenden des Manuskripts an die Kritik entschieden: »Der Autor zeigt, dass das Siedeln der Bretonen auf dem Kontinent ein komplexes und langwieriges Phänomen war. Er räumt dem Problem der in Armorika gesprochenen Sprachen viel Raum ein und zeigt auf, warum die Sprache der Bretonen, ursprünglich mehr oder weniger identisch mit der Sprache im Norden Galliens, sich bis ins 20. Jahrhundert erhalten hat, wohingegen das Altnordische und das Französische schon seit langem ausgestorben sind. Das Bretonische, das auf der Halbinsel kein »Fremdkörper« war, ist mit der Sprache der meisten der eingeborenen Bevölkerungen »verschmolzen«; und seine Schlußfolgerungen betonen, und möge dies den Verfechtern der »reinen Rassen« auch mißfallen, die Durchmischung, aus der die bretonische Bevölkerung hervorgegangen ist: Jene Komplexität der bretonischen Ursprünge spiegelt sich in der ganzen Geschichte der Bretagne wider, diesem Land der Gegensätze, Land der Reichtümer, Abriß der Geschichte Europas, wo seit zweitausend Jahren die keltische und die lateinische Welt gleichzeitig existieren. Nichts bereitet es darauf vor, eine Vereinheitlichung anzunehmen, die es nie gekannt hat. Der Verlust seiner Vielfalt und seiner Reichtümer würde niemandem zugute kommen.«
Ein Abriß der Geschichte Europas ... Das wäre eine Schlußfolgerung, die mir gefiele. Bretonisch und keltisch zu sein, erschien mir stets als Glücksfall. Aber zu wissen, dass dieses Bretonisch- und Keltischsein Ergebnis eines Schmelztiegels ist, bedeutet ein noch größeres Glück.
Die keltische Kultur hat die Bretagne mit zwei Hauptbeiträgen kultureller Art genährt: eine legendäre Sprache und Thematik, die »bretonische Sache genannt.
Diese »bretonische Sache« welche die ganze europäische Kultur inspiriert hat, glaube ich gut zu kennen. Die bretonische Sprache hingegen ist mir unbekannt. Nicht dass ich etwa nicht in meiner Kindheit einen Dialekt von Le Trégor gebrabbelt hätte. Aber die Geschichte der bretonischen Sprache und ihre heutige Situation sind als Themen zu heikel, um von einem Neuling behandelt zu werden. Deshalb habe ich Louis Lemoine (1), einen Spezialisten, gebeten, an meiner Stelle die Lage zu beschreiben.
»Westlich einer Linie, die von Paimpol nach Vannes verläuft, so schrieb er mir, wird eine Sprache gesprochen, die dem Gallisch unserer Vorfahren verwandt ist und dem in Großbritannien gesprochenen Walisisch nahesteht (etwa so wie Französisch und Spanisch verwandt sind), eine weitläufige Verwandte der Sprache, die noch einige tausend, im fast menschenleeren Hochland einiger Dutzend irischer Grafschaften verstreut lebende Sprecher pflegen.
1. L. L. arbeitete lange Zeit für zwei der besten zeitgenössischen bretonischen Zeitschriften, Preder und Emzav, bevor er eine Dissertation über die bretonischen Glossen in den Manuskripten des Hochmittelalters verfaßte.