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Zensur

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Haß und Exil

Tabus und Empfindlichkeiten, Zweisprachigkeit

Dieser wie mitten auf einem Marktplatz eingeschlagene Meteor wurde von vielen als eine Provokation aufgenommen und brachte Roparz Hemon viele Haßgefühle ein, die ihn bis zu seinem Tode im Jahr 1978 begleiten sollten. Das Abenteuer dauerte zwanzig Jahre und in seinem Verlauf versammelte Gwalarn so talentierte Schriftsteller, wie z.B. Abeozen, Drezen, Glanndour und vor allem Riou, den begabtesten, der mit sechsunddreißig Jahren verstarb, und Autor von Geotenn ar werc´hez war. Begeistert und unnachgiebig vertreten sie die Ansicht, dass ein Volk nur eine einzige Sprache sprechen kann und dass Zweisprachigkeit ein Lockmittel ist: »Entweder töten wir das Französische oder das Französische tötet uns«, schrieb Roparz Hemon; »Jetzt ist nicht der passende Moment, die Schwierigkeiten, Fehler und Reinfälle der nationalistischen Bewegung aufzuzählen. Erinnern wir uns bloß daran, dass 1944 die Befreiung wie ein Sturm alles hinwegfegte. Gwalarn , wie auch alle anderen Revuen und Zeitungen der Bewegung, wurde verboten und ihr Chef ging nach Irland ins Exil, von wo er nie wieder zurückkehrte. Die Fahne ging in andere Hände über: ab 1946 erscheinen Al Liamm (zu deutsch das Band), dann Preder (Gedanke), sowie eine Vielzahl anderer Titel. Bretonischstunden und -kurse werden organisiert. Die Ablösung verläuft reibungslos, manchmal aber zögernd, denn es wird mit dem Finger gezeigt auf diejenigen, die sich aus der Nähe für die bretonische Sprache interessieren, indem ihnen das schimpfliche Etikett Breiz Atao (1) angeklebt wird, eine verletzende Beleidigung, Synonym für Kollaboration ...

Und die Rolle des bretonischen Volks in diesem Abenteuer? Dieses Volk, dem der Stolz auf seine keltischen Ursprünge wiedergegeben werden sollte, und das der lateinischen und französischen Kultur entrissen werden sollte, und für das die Werkzeuge – und die Waffen – seiner Befreiung geschmiedet wurden?

Alles wird gesagt in einem gegen 1930 geschriebenen, wunderschönen Stück von Jakez Riou mit dem Titel Nomenoe Oe, von dem Namen Nominoé, Vater der Heimat, erster bretonischer König, der Karl den Kahlen bei Redon besiegte. Am Tage nach der Schlacht bereitet die Obrigkeit hastig den triumphalen Einzug des bretonischen Prinzen vor. Die Sache ist von Bedeutung und die Ordnungskräfte sind vor Ort und untersagen den Marktbetrieb. Ärger der Händler und Bauern: »Wer kauft meine Eier, meine Enten, mein Schwein? Und überhaupt, Nominoé – wer ist das? Ein Abenteurer, umgeben von einer Armee aus Säufern, erst am Boden, jetzt Großsprecher. Möge er Schlachten gegen das verabscheute Ausland gewinnen, falls ihm danach ist, aber nicht an einem Markttag, das zerstört den Kleinhandel, usw. Man erlebt, wie Nomino‚ spät in der Nacht alleine mit seinem braven Isidor ankommt, einem Dummkopf und Nichtsnutz, in einer Stadt, die über ihrer Gleichgültigkeit eingeschlummert ist. Es folgt eine bezaubernde Szene, die einen Vogelchor darstellt, in dem ein jeder, je nach seinem Gesang, sich über den Sieg freut, während eine Kröte, ein häßliches Tier, Opfer der Kinder, aber Verteidigerin der Gemüsegärten, die bretonische Bewegung darstellend, von Undankbarkeit spricht ...

Zur gleichen Zeit signierte Ollier Mordrel in Breiz Atao einen blasierten Artikel: »Sie verstehen uns nicht« scharfsinnige Feststellung einer Generation, die auf der vergeblichen Suche war nach »den Worten, die ein Volk zum Erwachen bringen« um Calloc´h zu zitieren. Und dennoch brachte jeder sein Argument vor: die katholischen Priester wiederholten jahrzehntelang, dass der Bretone und der Glaube wie Bruder und Schwester seien; die Marxisten bewiesen, dass die bretonischen Arbeiter in doppelte» Hinsicht ausgebeutet werden – als Proletarier und als Bretonen; die Populisten behaupteten, dass das Französische eine Sprache der Bourgeoisie sei, wohingegen das Bretonische die Sprache des Volkes sei. In den dreißiger Jahren glaubten manche sogar darin das Echo der barbarischen und heidnischen Tugenden der alten Kelten wiederzufinden. Aber wie immer das Menü auch aussah – das bretonische Volk weigerte sich größtenteils immer, an der Festtafel Platz zu nehmen. Man spielte ihm eine lustige Melodie vor, aber es wollte nicht tanzen; man spielte ihm eine Trauermusik vor, aber es wollte nicht weinen.

»Ein Volk kann nur eine einzige Sprache sprechen« diese volontaristische Äußerung aus dem Jahre 1923 strahlt heute die Kälte eines Gerichtsvollzieherprotokolls aus. Hat die »alte Sprache« unser Väter überhaupt eine Zukunft? Die Kindergärten Diwan (Wiederaufleben) entwickeln sich ebenso wie die Grundschulklassen und die Klassen der weiterführenden Schule. Die Bretonischkurse florieren, die Zeitschriften ebenfalls; Romane erscheinen, mehrere Gruppen führen Theaterstücke auf, Comicklassiker werden ins Bretonische übersetzt. Nun, warum nicht?

In Penzance, Cornwall, gibt es eine Statue, die Dolly Pentraeth darstellt, eine einfache Bäuerin, die diese Ehre der Tatsache verdankt, die letzte Person gewesen zu sein, die im 18. Jahrhundert noch kornisch sprach. Man hat vielleicht noch nicht den Granit herausgehauen, der die Züge des letzten Bretonischsprechers für immer festhalten wird ...«

Nach diesem notwendigen Umweg über die bretonische Sprache und Literatur kehren wir zurück zur Zeitgeschichte.

1. Bretagne toujours, Titel der 1919 von der regionalistischen bretonischen Vereinigung gegründeten Zeitung. Zum Organ der nationalen bretonischen Partei geworden, brachte es ihr Titel dazu, die Pronazipolitik dieses Grüppchens während der Besatzung zu symbolisieren.