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Antisemitismus

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Unterdrückung des Bretonischen

Dreyfus-Affäre

Das 19. Jahrhundert wurde zum Aufstieg der konservativen Verbindung zwischen der ländlichen Gesellschaft und der Kirche. »Glauben und Bretagne (Feiz ha Breiz) sind wie Bruder und Schwester« erklärten die Priester ihren Schäfchen, die als Gegenleistung ihre Rektoren verehrten. Dieser Einfluß war so mächtig, dass es außer in den Städten, den Fischereihäfen und Le Trégor, die Kirche war, die im Einklang mit der ortsansässigen Aristokratie, das Meinungsbild diktierte und gegen die laizistische Schule die Frequentierung ihrer eigenen, sogenannten »freien« Schulen durchsetzte. Ein Konflikt, der die unehrenhaften Praktiken erklärt, ohne sie zu rechtfertigen, denen sich eine Handvoll von Grundschullehrern der Republik hingaben, die besessen waren von der Idee einer Verbindung zwischen den »Pfaffen« und der bretonischen Sprache: »Es ist verboten, auf den Boden zu spucken und Bretonisch zu sprechen« ließen sie in ihren Sekretariaten in den Rathäusern anbringen, wenn sie nicht gerade einem Schüler, der ein Wort der »obskurantistischen Sprache« gesprochen hatte, ein entehrendes Symbol um den Hals hängten, von dem das Kind erst befreit wurde, wenn es einen seiner Kameraden denunziert hatte, der sich des gleichen Verbrechens schuldig gemacht hatte.

Die Konfrontation, die bis vor kurzem eine leidenschaftliche Seite beibehielt, fand ihren Höhepunkt in der Dreyfus-Affäre und der antiklerikalen Politik der Regierung Combes. Mit drei Jahren Abstand wurde das Gespenst der Chouannerie zunächst in Rennes, später dann in Le Trégor wieder lebendig.

Die Kirche von Frankreich hatte fast einstimmig Partei für den Generalstab ergriffen und die Verurteilung des jüdischen Kapitäns Alfred Dreyfus unterstützt, der der Spionage bezichtigt worden war. Sie tat dies im Namen der Traditionen und der Verteidigung der Verwaltungsorgane, aber auch aus Antisemitismus – ein Antisemitismus, der über die konservativ-monarchistischen Kreise hinausging, denn eine der Hauptfiguren des sozialen Christentums, Abbé Lemire, christdemokratischer Abgeordneter von Hazebrouck, machte kein Geheimnis aus seiner Aversion für das » und die kosmopolitische Bank und erklärte sich solidarisch bis ins Innerste seiner Seele mit [...] Drumont, mit Delahaye, mit Guéron, mit den braven jungen Leuten der Zeitung La France libre, mit dem Vater der Arbeiter, unserem geliebten Harmel, mit dem Abbé Garnier« Diese Stellungnahmen wurden in der Bretagne um so positiver aufgenommen, als die jüdischen Gemeinschaften dort quasi nicht existierten, auch nicht in den Städten, und das Bauerntum dazu neigte, darin die Bestätigung seines Mißtrauens, sprich: seines Hasses, zu sehen gegenüber »der Bank« und dem städtischen Universum. Es wird nunmehr deutlich, wie scharfsinnig die Wahl von Rennes als Ort für den Revisionsprozeß vom August 1899 war: während der Dauer des Kriegsgerichts (das Dreyfus; auf heuchlerische Art und Weise zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilte, aber mit »mildernden Umständen« so dass es Präsident Loubet ermöglicht wurde, von seinem Begnadigunsrecht Gebrauch zu machen) befand sich die Stadt im Belagerungszustand. Tägliche Handgemenge, wiederholte Überfälle bis zu seinem Haus: all das mußte der jüdische Universitätsdozent Victor Basch, damals an der Philosophischen Fakultät von Rennes beschäftigt, von seiten der Helfershelfer ertragen, die ihren antisemitischen Haß herausbrüllten. Er hinterließ über diese Tage ein genaues Dokument, das gerade deshalb so wertvoll ist, weil dieser bedeutende Humanist – Gründer der Menschenrechtsliga, zusammen mit seiner Frau 1944 von der Lyoner Miliz umgebracht – seine eigenen Emotionen zügeln konnte und sich nicht der Gewalt hingab.