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Belle Epoque

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Blöde Hausperlen und Nutten

Von der Heide zum Kanonenfutter

Auf der einen Seite beherzte, aber idiotische Hausperlen oder Huren. Auf der anderen Seite alkoholisierte Bestien, in den Vororten in tierhafter Promiskuität pusammengepfercht. »Hier und da, am äußersten Ende von Saint-Ouen oder Saint-Denis dehnen sich Inseln aus bretonischen Kolonien aus, überall vernachlässigte, fast wilde Populationen, treibende Stämme aus entwurzelten und unzufriedenen Bauern; diese Menschen leben in vier ungesunden, fieberigen und künstlichen Umgebungen, nämlich der Fabrik, der Kneipe, der öffentlichen Versammlung, der Arbeiterstadt« schreit der christliche Philanthrop Albert Touchard; 1906 beim Kongreß der Ligue du coin de terre et du foyer auf. Eine vermutlich richtige Beschreibung, zumindest wenn man den moralisierenden Pathos von ihr entfernt. Zudem eine Darstellung, welche an die aktuelle Situation der Gastarbeiter erinnert. Denn – und dieser Punkt ist enorm wichtig, und Catherine Bertho weist zu recht auf seine entscheidende Bedeutung hin bezüglich der jüngsten Entwicklung des Stereotyps – der Bretone der »Belle Epoque« erscheint zunächst in den Augen der anderen, und in erster Linie in den Augen der Pariser, als ein Ausländer. Ein Wesen, das so arm ist, dass es zu allen niederen Diensten bereit ist, und das man leicht betrügen kann, da es einfältig ist und kein Französisch spricht. Es kommt von seiner Heide, vom Elend vertrieben, in einem Zustand äußerster Rückständigkeit. Ist es darüber hinaus ein Mann? Ist es eine Frau? Nicht ganz. Es ist in der Hauptsache Fleisch: Fleisch für Küche und Fabrik, Fleisch fürs Bordell und bald dann auch Kanonenfutter.

So stellt sich die Gesamtheit der Züge (keltisch-altertümlich-chouan), welche die royalistische oder revolutionäre Romantik gefeiert und überbewertet hatte, ein Jahrhundert später als der Gipfel der Erniedrigung dar. Durch das Aufkommen der industriellen Moderne werden die altüberlieferten Werte herabgewürdigt und ihre Dummheit, bzw. sogar ihre Absurdität, kommt zum Vorschein.

Der künstlerische Primitivismus des ausgehenden 19. Jahrhunderts schöpft sicher daraus eine gewaltige Kraft der Erneuerung. Die von der Pont-Aven Schule gemalten Bretonen haben nichts Gewöhnliches an sich: die Gesichter der jungen Mädchen sind ebenso sinnlich wie schmerzverzogen, und die nackten Körper der Heranwachsenden beim Baden strahlen Unterernährung aus. Aber wen interessieren schon Gauguin, Saint-Pol Roux oder Suarès zu jener Zeit? Jedenfalls nicht die meinungsbildenden »Eliten« .