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Krieg

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Saint-Pol Roux träumt

Vergewaltigung, Tod und Bombenhagel

Was für ein Schicksal übrigens, was für eine Erhöhung ins Tragische, was für ein symbolischer Sieg im Tod eines Dichters, der so von Zeichen verfolgt wurde, wie es bei Saint-Pol Roux der Fall war! An einem Juniabend des Jahres 1940 kehrt er in bedrückter Stimmung am Ufer entlang nach Coecilian heim. Er, der einst Les Féeries intérieures schrieb, leidet. Er ist fast achtzig Jahre alt und die Neuigkeiten sind fürchterlich. Der Sturm peitscht über das Meer. Er wird bei sich in seinem Landsitz auf Befehl der Kommandantur Nazisoldaten aufnehmen müssen. In Penhir bleibt er stehen, um den Himmel zu betrachten und sich einzureden, dass er träumt, dass die Gewalt auf der Welt sich nicht geändert hat, dass sie brutal aber natürlich geblieben ist. »Freier Mensch, für immer wirst du die See innig lieben!« wiederholt er voller Leidenschaft. Einige Stunden später nimmt das Drama seinen Lauf. Ein deutscher Soldat (der allerdings einige Tage später nach seiner Verurteilung durch den Kriegsrat erschossen wird) stellt sich an der Tür des Landhauses ein unter dem Vorwand, dass er »Engländer suche« Die Gouvernante Rose weigert sich zu öffnen, da sie ihn bereits den ganzen Tag über herumstreichen sah. Aber was kann man schon tun, wenn ein Sieger auf brutale Weise Gehorsam fordert? Rose muß sich fügen.

Der Rest ist bekannt. Sie, die »geliebte Dienerin« wird vom Soldaten niedergemetzelt. Saint-Pol, der versucht hatte, dazwischenzugehen, wird verletzt und zum Sterben liegen gelassen. Divine, die innig geliebte Tochter des Dichters, wird vergewaltigt und halb erdrosselt. Man kennt das Ende. Der Todeskampf eines alten Mannes im Krankenhaus von Recouvrance. Seine Manuskripte zerrissen oder verbrannt als Folge einer Plünderung im Oktober des gleichen Jahres. Und Coecilian eingeäschert durch den Stahlhagel der großen Schlacht von 1944 um die Kontrolle der Bucht vor Brest ...

»Ganz vorsichtig, meine Herren Totengräber« hatte der Herrliche in Pour dire aux funérailles des poètesgeschrieben. »Ich hoffe, dass es so geschah, dass seine sterblichen Überreste vorsichtig der Erde übergeben wurden. Und es gefällt mir zu träumen, dass seine sanften und zuvorkommenden Totengräber Matrosen und Bauern waren, die sich anschließend dem freien Frankreich anschlossen. Das ist gut möglich, denn gegen Ende des Jahres 1940 kam ein Viertel der gaullistischen Truppen in England von der Ile de Sein.

Warum soll es verschwiegen werden? Ich habe darauf bestanden, dieses Buch mit dieser Geschichte zu beginnen, um zu dieser Mutmaßung zu gelangen. Denn wenn das Bild des alten Barden von Coecilian für mich seine Sinn behält, und wenn die Bretagne in meinen Augen auf immer das Universum bedeutet, dann deshalb, weil diese Bretagne, von der ich spreche und die für mich den Anlaß zum Schreiben bildet, eine Mischung aus Realität und Fiktion darstellt.

Eine im äußersten Westen Europas gelegene Halbinsel, von Männern und Frauen bewohnt, die Erben einer gemeinsamen aber vielschichtigen Vergangenheit sind, und die heute einem Bündel von ebenfalls mehr oder weniger gemeinsamen Problemen gegenüberstehen – obgleich diese sich kaum merklich unterscheiden von jenen, mit denen die anderen Völker im Westen konfrontiert sind.

Aber immer noch ein unerschöpfliches literarisches Thema. Meinetwegen eine andere Art, Freiheit und Poesie zu formulieren.