Städtetour
Kaum errichtet, schon verfallen
Möbellager und Fenstersammlungen
»Die in die Landschaft gebauten Städte, gemauert und fertig gestellt was häufig heißt: schon zur Hälfte kaputt sind auf Papier gebannte Orte, geschrieben und abgeheftet«, schreibt Olivier Rolin im Vorwort zu seiner Sammlung Sept Villes Sieben Städte.
Dies läßt sich nicht leugnen. Und dieser Romancier, der in einem Fischerhaus an der Küste im Trégor schreibt, führt sofort den Beweis durch Widerspruch: »Die Landkarte dieser Welt ist von Leuchtpunkten durchbohrt, Agglomerationen, die Städte zu sein meinen, sich darin versuchen in anrührender oder schockierender Weise, je nach dem, mit Hilfe der Straßen, Bewohner, Häuser, öffentlichen Verkehrsmitteln, sogar Museen, allen Arten weiteren Zubehörs, des städtischen Mobilars. Diese Pseudo-Städte, tatsächlich Möbellager, Fenstersammlungen, sind sich häufig und sogar meistens nicht bewußt, was ihnen fehlt: eine gedankliche Form in einem Buch anzunehmen.«
An dieser Elle gemessen, weisen alle Städte der Bretagne, zahlreich, aber klein, eine eigenwillige Rangfolge auf: Nantes, »mit Paris vielleicht die einzige Stadt Frankreichs, wo ich den Eindruck habe, dass mir etwas passieren kann, was die Mühe wert ist«, so André Breton, stellt seinen Rivalen Rennes in den Schatten. Lorient, obwohl Fischer- und Kriegshafen, verblaßt vor Brest, mangels Zeit, sich einen Mythos auf dem Niveau seiner ursprünglichen exotischen ehrgeizigen Ziele geschmiedet zu haben. Und Vannes, das sich (beinahe) etwas darauf einbilden kann, die Heimat des Erfinders der ville narrée (der »erzählten Stadt«), Alain René Lesage (1), zu sein, verliert sich im Golf von Morbihan, während Saint-Brieuc glanzvoll aus den Sümpfen seiner Bucht zum Vorschein kommt. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit sei hier eine literarische tour d´horizon durch einige bretonische Städte unternommen.
1. Lesage wurde 1668 in Sarzeau auf Rhuys, direkt bei Vannes, geboren. Für den deutschen Hochschullehrer Volker Klotz bedeutet der Diable boiteux (der »hinkende Teufel«) den Eintritt der Stadt, als Paradigma des modernen Romans, in die europäische Literatur.