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Verstummte Sprache

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Minnesang, Pfaffenbretonisch, Volkstheaters

Versailles und Prestige

Die Randbemerkungen trifft man noch im 11. Jahrhundert an. Dann folgt eine fast völlige Stille. Ein Satz im 12. Jahrhundert. Nichts im 13. Jahrhundert. Im 14. Jahrhundert sieben Sätze eines obskuren bretonischen Schriftgelehrten namens Ivonet Omnes, am Rande eines Werkes von Vincent von Beauvais – indessen haben sie nichts gemein mit dem wieder abgeschriebenen Dokument. Man muß bis zum 16. Jahrhundert warten, um einige fortlaufende Texte aufzustöbern, von denen übrigens manche einen wirklichen literarischen Wert darstellen, wie z.B. Buhez Mabden (Das Leben des Menschen). Andere, wie Le Miroir de la mort, einer langen Denkschrift über den Tod, die aus nicht weniger als 3.602 Versen besteht (zum Vergleich: ein Drama von Racine übersteigt selten 1.800 Verse), interessieren vornehmlich die Linguisten. Diese Gedichte sind jedoch insofern bemerkenswert, als sie nach Regeln verfaßt sind, die rein gar nichts mit dem französischen Metriksystem zu tun haben. Denn nach dem Muster der Gedichte, welche die Waliser jenseits des Ärmelkanals schrieben, verwenden sie Endreime, aber auch Binnenreime, oder Alliterationen, was in der französischen Lyrik äußerst selten vorkommt. Waliser und Bretonen sprachen freilich bis zum 10. Jahrhundert eine identische Sprache und das Fortdauern eines vergleichbaren Metriksystems beweist – und da sind sich alle Keltenforscher einig – dass enge kulturelle Kontakte zwischen den Insel- und den Festlandbewohnern noch lange anhielten.

Die gleichen Gelehrten stimmen darin überein, dass die »bretonische Sache« die ihren Ursprung an diesen beiden Ufern des Meeres hatte, sich von Armorika aus, einem wahrhaftigen Bindeglied zwischen den Inseln und dem Kontinent, in Europa verbreitete. Marie de France; gibt übrigens zu, dass sie von einer bretonischen Quelle inspiriert wurde: »Ich werde euch ein Abenteuer erzählen, aus dem die Bretonen ein Lai machten. Sein Name ist laustic: so nannten sie ihn in ihrem Land. Das heißt Nachtigall auf französisch und nightingale auf Englisch ...«

So kommt es paradoxerweise, dass in jener Zeit, als die schriftlichen Zeugnisse auf bretonisch quasi nicht existierten, die westliche Empfindsamkeit zutiefst erschüttert wird durch jene Jongleure und Harfenspieler aus Armorika, deren Namen uns nicht überliefert sind, die aber an allen europäischen Höfen sangen. Wenn man weiß, dass zur selben Zeit die Mönche in Irland ihre alten Epen abschrieben (Das Exil der Söhne Usnechs, Der Beutezug von Cualngé,) usw.), fragt man sich, warum die bretonischen Kleriker nicht den gleichen Eifer darauf verwendeten, die lyrische Tradition ihres Volkes dem Pergament anzuvertrauen. Aber nichts dergleichen. Sollte das Bretonische für die Bretonen eine lingua turpis gewesen sein? Und was würden wir doch dafür geben, um die genauen Worte zu haben, in denen die Liebe Tristans, die Eifersucht Marks und die Klagen Isoldes zum Ausdruck kamen! ...

Vom 17. Jahrhundert an dagegen wird die Produktion in bretonischer Sprache recht erheblich. Ich sage bewußt Produktion und nicht Literatur, denn die zu jener Zeit angebotenen Bücher sind fast allesamt fromme und erbauliche Werke, deren Themen und deren Sprache selbst die eifrigsten Verfechter des Bretonischen zum Schweigen bringen. Canticou spirituel, Mirouer a confession, Reflexionou profitabl, Exemplou miraculus und andere Instructionou santel – all dieser Plunder ist in einer Mundart geschrieben, die als brezhoneg beleg bezeichnet wird, dass heißt als »Pfaffenbretonisch« jedes zweite Wort ist französisch und der Satzbau wird natürlich auch nicht ausgenommen. »Aber wir dürfen die Wahrheit nicht verzerrt darstellen; in den meisten Fällen hätten diejenigen, die in jener mit französischen Worten durchsetzten Sprache schrieben, ein ausgefeilteres, »keltischeres Bretonisch verwenden können. Das Prestige der Sprache von Versailles war jedoch so hoch, dass man glaubte, seine Prosa zu bereichern, indem man sie mit fremden Wörtern und Wendungen spickte.