Volkstheater
Schauspiel
Grammatiken und Wörterbücher
Verlassen wir diese langweilige Literatur, denn uns erwartet eine gute Nachricht, nämlich die Existenz eines Volkstheaters. Seit dem Mittelalter bis hin ins 19. Jahrhundert ließ man in der Bretagne nicht davon ab, Mysterienspiele aufzuführen. Was Irland und Wales angeht, so besitzen beide zwar eine epische Literatur, die sich sehr weit zurückverfolgen läßt, lernten das Theater aber erst in der heutigen Zeit kennen. In der Bretagne dagegen blühen die Vies de saint Gwenolé, de saint Eunius, sainte Trifine, die Mystères de la Passion, usw. Man muß die bewegenden und zugleich urwüchsigen Seiten lesen, die Tangi Malmanche (Dramatiker des 20. Jahrhunderts) jenem alten Theater gewidmet hat, dessen Stücke, was die Länge angeht, mit dem Seidenen Schuh von Paul Claudel hätten wetteifern können, und deren Aufführung mehrere Tage hintereinander von einem faszinierten Volk verfolgt wurde.
Anatole Le Braz, dem wir es verdanken, die Sammlung der Légende de la mort chez les Bretons armoricains angelegt zu haben, ist ungerecht gewesen gegenüber dem alten bretonischen Theater. Überkritisch, wie es im 19. Jahrhundert viele Gelehrte waren, sah er darin nichts als dürftiges Geschwätz und freches Plagiat der alten französischen Mysterienspiele. Seit einigen Jahren haben die Forscher wieder die Untersuchung aufgenommen und beginnen frei von Vorurteilen die Hunderte von Manuskripten zu lesen, die in den Bibliotheken in Rennes, Paris und anderenorts schlummern. Sie erleben bisweilen die positive Überraschung, ein relativ durchstrukturiertes Stück zu entdecken, das in einer kräftigen und reichen Sprache geschrieben ist und die alten Metrikregeln respektiert, so wie jenes Vie de Geneviève de Brabant, von der Spiritualität des Ignatius erfüllt, das höchstwahrscheinlich für das Jesuitenkolleg von Quimper verfaßt wurde.
Ein völlig anderes, aber ebenso interessantes Gebiet: im 17. Jahrhundert erscheinen Grammatiken und Wörterbücher, welche die Bedingung und das Vorspiel zur Entfaltung einer wirklichen Literatur darstellen. Im Jahre 1659 fügt der Jesuit und Missionar Vater Maunoir seinem Sacré Collège de Jésus eine Grammatik und ein Wörterbuch bei. Er schlägt sogar eine Rechtschreibreform vor, die unter anderem das berühmte »c´h« beträfe ö auszusprechen wie das deutsche »ch« ö das Leute, die des Bretonischen nicht mächtig sind, zur Verzweiflung bringt; Ploumanac´h, Ploulec´h, Penmarc´h. Im 18. Jahrhundert erscheint dann die Grammaire francoise celtique von Grégoire de Rostrenen; und zu Beginn des 19. Jahrhunderts die Grammaire celto-bretonne von Le Gonidec. Letzterer ist der erste einer Reihe von Sprachwissenschaftlern, Grammatikern und Schriftstellern, die ihr Leben vollkommen der bretonischen Sprache geweiht haben. Le Gonidec verbrachte den größten Teil seiner Existenz damit, sein Wörterbuch und seine Grammatik zu verfassen, sowie eine Übersetzung der Bibel ins Bretonische. Le Gonidec stellt eine entscheidende Etappe dar, denn er vertrat eine Doktrin: die bretonische Sprache zu säubern. »Eines Tages wird man den Vorteil spüren, rein bretonische Wörter verwenden zu können, wenn man für Bretonen schreibt und [...] man wird auf alles in seiner Rede verzichten, was einer fremden Sprache entlehnt worden ist. «
Im Kielwasser dieses ehemaligen Chouan-Oberst schmiedeten Generationen von Handwerkern in einem mehr als hundert Jahre dauernden Prozeá von einer Sprache ausgehend, die in Dialekte, Unterdialekte und Mundarten zersplittert war, ein Werkzeug, das endlich zu künstlerischem Schaffen geeignet war. Eine schwierige und langwierige Arbeit, deren Früchte man erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu ernten beginnen kann.
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Foto: Fotolia; Bretagne-Leuchtturm-Ploumanac´h