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Ile de Sein

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Sein: Ein Viertel Frankreichs

Fässer durch die Straßen rollen

Die Besetzung der Insel des »Siebenfachen Schlafes« liegt weit in der Vergangenheit zurück, bereits im Jahre 43 wird sie erstmals von einem römischen Geographen erwähnt. Als sichtbare Zeugnisse künden auch heute noch die prähistorischen und megalithischen Gräber, vor allem die Prégourien, zwei kleine Menhire, die in ein seit Jahrtausenden andauerndes Gespräch vertieft scheinen. Daher auch ihr Name: les causeurs, »die Plauderer«. Sie betreiben ihre Konversation hinter der Kirche Saint-Gwenolé, deren Steine die Frauen auf ihren Köpfen vom Hafen hierhergetragen haben. Neun Druidinnen, die »Sènes«, sollen ihre Orakel in einer Nische in den Steinen bei Kadar verkündet haben. An dieser Stelle auch läßt Chateaubriand die scheue Velléda in seinem Roman Die Märtyrer leben: »Niemals war der Boden gerodet worden, und man sah dort Steine gesät, damit er für Sense und Pflug weiterhin unzugänglich bleibe.«

Hinter der Ansammlung von Häusern am quai des Paimpolais und am quai des Iliens wartet ein kleines Dorf, das Deiche vor der Gewalt des Meeres schützen und dessen Gäßchen gerade breit genug sind, dass man ein Faß durchrollen kann, wie es eine alte Kommunalverordnung forderte.

Bei einer Länge von zweieinhalb und einer Breite von knapp einem Kilometer bietet die Insel kaum Platz für nutzbaren Boden, und die von lose aufgehäuften Steinen umgrenzten »Felder« betragen gerade mal ein Ar. Die Frauen, die mitunter noch die nach der letzten Choleraepedemie 1886 eingeführte Trauerhaube tragen, bauen hier in der Regel Kartoffeln an. Die Männer sind auf See. Die Luft riecht im ersten Moment fremdartig: Vorräte an Schalentieren, die im Wind trocknen, verbreiten einen Geruch nach frischem Teer.

Nachdem die Bewohner einst selbst zu den Seeräubern gezählt hatten, wandelten sie sich später zu kühnen Beschützern dieser gefährlichen Küste, wo heute die drei weißen Lichter vom Leuchtturm Ar-Men alle zwanzig Sekunden ihre optischen Warnungen über das Meer schicken. Der Ruf der Sénans, besonders mutig zu sein, erfuhr während des Zweiten Weltkrieges eine eindrucksvolle Bestätigung. Als am 6. Juli 1940 in London bei einer Versammlung der sechshundert ersten Freiwilligen aus dem freien Frankreich General de Gaulle jedem die Frage stellte, woher er komme, erhielt er 124 Mal zur Antwort: »Von der Insel Sein.« »Sein ist also ein Viertel Frankreichs!« Am 26. August 1946 erhielt Sein die Medaille der Résistance, später verlieh ihr de Gaulle das Kreuz der Libération. Der Legende entstiegen, trat Sein sogleich in die Geschichte ein.

Auf dem Rückweg nach Audièrne liest man die Blauen Gedichte von Georges Perros noch einmal so intensiv wie vorher:

»Die Insel Sein, die von weitem man sieht

Flache Platte dicht über den Wassern

Mit dem Pfeffer, den es

Braucht, die Sonne zu reizen.

Und dem groben Salz in den kleinen Straßen

Wo man hergeht, einer nach dem anderen ...