Stadtrundgang
Tobende Ozeane, alte Männer, und Mauritanier
Blei, Langusten, Schwaden, Gerüche und Ausdünstungen altmodischer Sardinen
Nachdem der tobende Ozean beim Cap de la Chèvre und Cap du Raz bereits viel von seiner Kraft verloren hat, kommt er am Ende der weitläufigen Bucht von Douarnenez schließlich zur Ruhe. Nach seiner Ankunft wird der Reisende unvermeidlich von der Stadt bei der Hand genommen und als erstes zum Hafen geführt. Schon kurz darauf wird er sich an einem Tisch in einem Café oberhalb des Quai du Rosamut wiederfinden. Im Café stehen meist ältere Männer, stützen sich mit ihren Ellbogen an der Theke auf und unterhalten sich mit einiger Lautstärke. Ihre beinahe singende Stimme wird begleitet vom trockenen Tuckern der Motorboote, die im Geschrei auffliegender Möwen ihre Anker lichten.
Vor der morgendlichen Kulisse regt sich kaum etwas. Die Wasseroberfläche erscheint glatt und glänzt dunkel wie geschmolzenes Blei, kaum getrübt durch das Kielwasser eines alten Holzkutters, dessen sämtliche im Lauf der Jahre aufgetragenen Farbschichten über das Wasser leuchten. Die Luft scheint entleert; jeder Ton zieht sich in die Länge und sucht vergeblich, den ganzen Raum zu erfüllen. Jeder Gegenstand verselbständigt sich, löst sich ab von dem Ort, an den er gebunden scheint.
Seit Mitternacht, der Zeit der genauso öffentlichen wie geräuschvollen Versteigerung, hat sich zwischen Rosumur und dem Trawlerhafen eine unermüdliche Aktivität entfaltet. Die Bewegungen der Menschenmenge, durch ein wohlgesetztes Ritual geregelt, dauern bis zum Morgengrauen an. Sie vollziehen sich in wachsender Unruhe, unter Schreien, geheimen Handzeichen, verschlüsselten Blicken und dem stummen Schlagabtausch beim Verkauf nach Augenmaß. Genau hier entsteht jener kräftige Geruch, der das Meer ständig präsent hält: Lengfische, Seelachse, Schellfische, Kabeljau, gefangen im Norden Schottlands und in der Irischen See und aus Tonnen von Schleppnetzen auf den Markt geworfen. Daneben liegen Thunfische aus tropischen Gewässern oder Sardinen, die einige Boote gelegentlich heute noch mit versammelter Mannschaft auf Deck in den Hafen einfahren. Diese Tradition trug einst zum Ruhm der Hafenstadt Douarnenez bei, zur selben Zeit, als die Hauben der Fischersfrauen, die heute meist in den Konservenfabriken Arbeit gefunden haben, zu Beginn dieses Jahrhunderts ihren Beinamen Penn-Sardin, »Sardinengefieder«, erhielten. Die Leute im Hafen warten auf die Rückkehr der »Mauritanier«, die nach drei Monaten auf hoher See bald Tausende von rosafarbenen Langusten ausladen werden.
Immer stärker steigt der kräftige Salzgeruch in die Nase. Mit ihm vermischen sich das Jod der Fische und Algen, die in den Ritzen der Fliesen und am Boden der Holz- oder Plastikkisten austrocknen, die Heizöldämpfe von den Booten, der scharfe Geruch des Tauwerks und der Atem der Bars, der in langen Schwaden durch die Straßen entweicht. Vorbei sind die Zeiten der gepressten oder gebratenen Sardinen, die Gustave Flaubert und seinen Freund Maxime Du Camp auf ihrer Bretagnereise 1847 aus der Stadt vertrieben. Heute fängt man weniger Sardinen, und die Konservenfabriken der amerikanischen Firma Starkist »verwalten« bloß noch ihre eigenen Ausdünstungen, die auf dem Weg vom Hafen in die Stadt schwächer werden.