Inishturk
Inishturk
Der Pfarrer kommt alle drei Wochen zum Abnehmen der Beichte
Etwas südlich Clares, 12 km vom der irischen Küste und gegenüber dem »heiligen Berg«, dem Croagh Patrick, liegt das Eiland Inishturk, mit sieben Quadratkilometern kleiner als Baltrum, die kleinste ostfriesische Insel. Auf Inishturk wurden zum Leidwesen seiner Bewohner industriell abbaubare Mengen an Gold gefunden. Fast hundert Meter stürzen die Klippen im Westen ins Meer, knapp 200 Meter mißt die höchste Erhebung. Vor der Großen Hungersnot zählte man 500 Bewohner, heute sind´s 91, davon die Hälfte unter zwanzig Jahren, in 18 Familien. Es gibt eine Grundschule die Lehrerin haust in einem eigens herbeigeschafften »mobile home« eine neonröhrenbestückte Kapelle und zwei Kneipen, die mangels Ordnungshütern keine Sperrstunde kennen, zwei Lädchen, eine Meile geteerter Straße für die zwei Trecker und den Landrover, eine Betonpier seit 1988 für die vier Fischkutter, eine Telefonzelle, zwei Dieselgeneratoren für die Stromversorgung, ein B&B, ein Ferienhaus und vier Michael O´Tools. Gepflügt wird mit dem Pferd, gemäht mit der Sense, und so mancher Weg wird mit Esel zurückgelegt. Die Schafe halten wegen des niedrigen Wollpreises nicht, was man sich von ihnen versprochen hat. Was der Engländer begann, als er die ehemals dicht bewaldete Insel zum Bau seiner Kriegsflotte abholzen ließ, vollendet heute die blökende Herde, die jedes noch so kleine Pflänzchen bis zur Wurzel abrupft und die karge Krume der Bodenerosion preisgibt. Der Pfarrer erscheint alle drei Wochen zum Abnehmen der Beichte, wird aber nicht viel zu hören bekommen, denn bei diesen Verhältnissen wundert´s nicht, dass Kriminalität unbekannt ist und auch niemand sein Haus abschließt.
Die Arbeitslosigkeit ist trotzdem ein Problem, vor allem bei jüngeren Leuten. Umso erstaunlicher, dass sich die Bevölkerung in einer familienweisen Abstimmung mit 15 zu drei Stimmen gegen den Goldabbau immerhin mit einer halben Unze in einer Tonne Gestein die reinsten Vorkommen Europas aussprach. Einer der Befürworter, Kneipenwirt Jim Prendergast, hatte eh unbergmännische Absichten gehegt: hoffte er doch, seinem Junggesellendasein durch zu erwartenden Zuzug von Frauen abhelfen zu können.
Die kommen heute oft vom Festland, von Westport oder Castlebar, und der Fischer Peter O´Toole hat sogar von seinen Abstechern an die Küste eine »echte« Französin mitgebracht. Die Männer sind wie alle gebürtigen Insulaner verschlossen und wortkarg, machen nicht viel Aufhebens um was auch immer anliegt, reden kaum miteinander, und mit Fremden schon gar nicht. Und so lassen inishturktypische Gesprächsstrukturen jede noch so hoffnungsvoll angegangene Unterhaltung bereits nach dem ersten Satz wieder einschlafen. Frage: Haben Sie heute Wetternachrichten gehört? Antwort: Ja. Ende des Gesprächs. In der Konsequenz heißt das auch: wer von mir etwas will Fremde wohlgemerkt hat abzuwarten, ob ich überhaupt interessiert bin. Und wenn ich ihn lange genug habe zappeln lassen, gibt er vielleicht von ganz allein wieder Ruhe. Ob und wie sich diese Haltung mit neugierig fragenden Touristen vereinbaren läßt, wird sich zeigen. Vor zwanzig Jahren noch wandte man »Fremden« demonstrativ den Rücken zu, wie uns eine Frau aus Westport berichtete.
Besucher nehmen die Fähre von Cleggan. Anderthalbstündige Überfahrt.