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Politisches Tauwetter

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Politisches Tauwetter

Hoffnung auf Frieden

Bei allgemeinen Wahlen wurde Gerry Adams vom Kandidaten der SDLP, einer sehr gemäßigten republikanischen Partei, dank einer krummen Tour überrundet. In der Tat war das Kräfteverhältnis der Parteien Jahre hindurch stabil geblieben: ungefähr 16.000 Stimmen entfielen in der Regel auf Gerry Adams, 15.000 auf die SDLP und etwa 7.000 auf die Loyalisten. Dieses Mal war es anders: die SDLP erhielt 17.415 Stimmen, und die Loyalisten nur 4.766. Es drängt sich der Verdacht auf, dass rund 2.000 Stimmen dem Kandidaten der SDLP zugeschanzt wurden, um diesen gewinnen zu lassen. Gerry Adams schnitt nämlich mit 16.826 Stimmen noch um einige hundert Wähler besser ab als sonst, und das ganz ohne Tricks ... Alle Mittel scheinen also recht, um den Einfluß der Republikaner zu verringern.

Unter den Protestanten fanden sich immer mehr, die des Bürgerkriegs müde waren und die das harsche, sektiererische Vorgehen ihrer paramiltärischen Verbände mißbilligen. Interessanterweise fühlen sich auch unter ihnen weite Teile eher als Iren denn als Briten, denn schließlich ist den meisten klar, dass die Krone sie im Ernstfall fallenlassen könnte. Warum sollte es Republikanhängern und Königstreuen eigentlich nicht möglich sein, sich an einen Tisch zu setzen und einen friedlichen Dialog darüber zu beginnen, wie die unterschiedlichen Ansprüche und Interessen zu einem Konsens zu bringen wären?

Die Protestanten fürchten – und das nicht zu Unrecht –den Einfluß der stockkonservativen katholischen Kirche des Südens. Sie wehren sich dagegen, unter Gesetzen zu leben, die für Empfängnisverhütung, Abtreibung und Scheidung strafrechtliche Verfolgung vorsehen. Auf beiden Seiten sind Zugeständnisse erforderlich. Bislang ist das friedliche Nebeneinander noch Zukunftsmusik, aber vielleicht wird es eines Tages doch soweit kommen.

Übrigens stehen, ethnisch gesehen, die protestantischen Iren ihren katholischen Landsleuten viel näher als den Engländern. Zwar ist es richtig, das sich über die Jahrhunderte der Besetzung die englischen Landlords den irischen Boden unter den Nagel rissen, aber die meisten Protestanten sind Nachfahren schottischer Einwanderer, die ja nun, wie die Iren auch, keltischen Ursprungs sind. Nach allem vorher Gesagten dürfte klar sein, dass es sich hier keineswegs um einen Kampf zwischen Religionen handelt, sondern um einen solchen um Besitz, Macht und Vorrechte, oder anders ausgedrückt: um den Kampf eines rückständigen, ländlich und feudal strukturierten Gebietes gegen den modernen, überlegenen Industriekapitalismus mit jeweils völlig anderen Charakterzügen und Verhaltensweisen seiner jeweiligen Angehörigen (s. Einleitung).

Vor einigen Jahren kam Bewegung in die verfahrene Lage: 1985 wurde der Vertrag von Hillsborough unterzeichnet, in dem England Irland ein Mitspracherecht in der nordirischen Frage einräumte und umgekehrt Irland auf den Alleinvertretungsanspruch im Norden verzichtete. Die protestantischen Unionisten begannen daraufhin, mit den Iren zu verhandeln.

1993 sollte das Jahr der Überraschungen werden. Zunächst haben sich Gerry Adams von der Sinn Fein und John Hume von der SDLP zu einer Grundsatzdiskussion zusammengesetzt. Man fand eine Menge gemeinsamer Interessenpunkte, was für die Friedensbemühungen Anlaß zur Hoffnung gab. Die andere Überraschung waren die Kommunalwahlen, bei denen die Sinn Fein mehr Stimmen einheimste als je zuvor und infolgedessen in den Gemeinderäten stärker vertreten ist als bisher. Damit hatte die britische Regierung, die schon in den höchsten Tönen verkündet hatte, die Sinn Fein habe die Unterstützung der republikanisch gesinnten Iren verloren, nicht gerechnet. Aber die größte Verblüffung löste die Offenbarung aus, dass die Regierung John Majors das ganze Jahr hindurch geheime Kontakte zur IRA unterhalten hatte. Als dies ans Tageslicht kam, beeilte sich Major zu versichern, dass er die Kontakte erst wieder aufnehme, wenn die IRA ihre Gewaltakte einstelle. Die IRA hingegen antwortete, dass die diese ganz von selbst aufhören würden, sobald die englische Besetzung beendet und die Truppen abgezogen worden seien. Die IRA erklärte sich 1994, auf Anraten des nordirischen Unterhausabgeordneten John Hume, zum bedingungslosen Gewaltverzicht bereit. Im Falle des Abzugs der britischen Truppen aus Nordirland verspricht sie einen dauerhaften Waffenstillstand. Der Weg ist damit frei für Verhandlungen mit den Briten, mit der neuen irischen Premierministerin Mary Robinson und eigentlich auch mit den Unionisten unter Führung Ian Paisleys, ein Gottesmann, der sich bislang immer als fanatischer Königstreuer gezeigt hat. Doch ihre Furcht vor dem Verlust ihrer Pfründe in Nordirland ist groß, und sie erwarten weiterhin britische Unterstützung. Sie werden sich daran zu gewöhnen haben, dass die IRA salonfähig geworden ist: so wurde Gerry Adams dem Chef ihres politischen Armes Sinn Fein, im irischen Rundfunk Rederecht zuteil, das dieser Partei über zwei Jahrzehnte lang entzogen worden war.

So weit, so gut; das allgemeine politische Tauwetter, das Ende des kalten Krieges trägt Früchte, sogar in Irland. Ein Anfang ist jedenfalls gemacht. Zur Zeit macht die IRA eher dadurch von sich reden, dass sie Drogenhändler und Kriminelle, sogenannte antisoziale Elemente, bekriegt: durch Erschießen, Beinebrechen, einen Schuß ins Knie usw.

Wer heute die Grenze überquert, bemerkt davon wenig, abgesehen davon, dass die Telefonhäuschen auf einmal rot ausschauen. Auch mit irischen Pund scheint man problemlos zahlen zu können. Der Wechselkurs ist eh 1:1.

Man kann nur hoffen, dass die Vernunft eines Tages das propagandistische Lügengespinst der Krone und das Sektierertum der protestantischen Königstreuen auflösen wird. Und dass die andere Seite auch das ihre tut ...