Katakomben
Besuch bei den Mumien
Keine Angst vor den Katakomben
Makaber, aber züchtig
Unterirdische Galerien, von deren Wänden, wie in einer Garderobe, Leichen aus den fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts baumeln - etwa achttausend an der Zahl. Behütet werden sie gleich am Eingang von Bruder Silvestro da Gubbio, der am 16. Oktober 1599 verblich. Einer Zufallsentdeckung verdankt man die Mumifizierungspraxis. Als der Friedhof nebenan Ende des 16. Jhs erweitert wurde, bemerkten die Mönche, dass einige ihrer ehemaligen Mitstreiter noch sehr lebendig wirkten. In einem flugs ausgehoben Gang stellten sie ihre Mitbrüder unter und entwickelten die Mumifizierung weiter. Beiderseits der Gänge, die sie gruben, legten sie Kammern, die »colatori«, an, wo acht bis zehn Tote einfach auf eine Art Rost aus gebrannten Tonröhren gelegt wurden. Nach acht bis zehn Monaten öffneten sie die zugemauerte Gruft, wuschen die Leichen mit Essig, trockneten sie in der Sonne, bekleideten, schmückten und schminkten sie sogar. Bei Epidemien griff man zu gröberen Mitteln, nämlich einer Mumifizierung in einem Arsenbad oder in ungelöschtem Kalk.
Übrigens: große Lehrmeister der Mumifizierung waren die Neapolitaner. Ein Don Raimondo de Sangro ein eigentümlicher Zeitgenosse mit Hang zu seltsamen Experimenten, gelang es sogar, menschliche Körper derart zu konservieren oder vielmehr zu fossilieren, dass außer dem Skelett auch das gesamte Adersystem erhalten blieb. In der Krypta der San-Severo-Kapelle in Neapel ist das Ergebnis zu besehen.
Einige Mumien - das Wort rührt vom Persischen »mum«, Wachs, mit dem Babylonier und Perser zu überziehen pflegten - sind noch von Fleischfetzen bedeckt; auch Kopfhaare und Schnurrbärte sind bei vielen erhalten. Originell und makaber! Genau der richtige Drehort für die fantastischen Szenen in »Delikatessen«. Das Besondere an diesen Kadavern ist jedoch ihre Bekleidung: sie tragen die Mode des 19. Jahrhunderts! Angehörige haben ihnen ab und an die Kleider gewechselt - gehört sich ja auch so, zumindest vor hohen Feiertagen. Ein Reisender des 19. Jhs, Andreas Oppermann, beschrieb die Leichen als in »ganz neue, bunte Gewänder gekleidet, deren Contrast mit den braunen, wie mit einem lederartigen Überzug versehenen Todtenköpfen nur um so auffälliger« wirkte. Alexandre Dumas d.Ä. bemerkte bei seinem Besuch 1836 eine verschleierte Frau, die als Neunundzwanzigzährige zwei Jahre zuvor verstorbene Marquise Spataro. Ein Baron, der sie verehrt hatte, drückte ihr täglich einen Strauß frischer Rosen in die Hand. Erstaunlicherweise wird selbst an dieser letzten und eigentlich doch leidlich unverdächtigen Ruhestätte mit Sitte und Anstand nicht gespaßt: Männer und Frauen hängen fein säuberlich getrennt. Man kann ja nie wissen ...
Zwei Mumien darf sich niemand entgehen lassen: den Riesen, il Gigante, auf der rechten Wand im Männerkorridor, und das perfekt konservierte Baby Girl in der Kapelle. Echte Sizilianer kann man mit so etwas übrigens kaum beeindrucken. Überhaupt ist Palermo eine Stadt, in der der Tod eine Art Bürgerrecht genießt: man kommt glänzend miteinander aus. Für die Einheimischen scheint jedenfalls keine allzu makabre Atmosphäre von diesem Anblick auszugehen. Wir haben sogar kleine Gören während der Besichtigung genüßlich an ihrem Eis schlecken sehen!
Bei der Gelegenheit auch gleich noch einen Blick auf den benachbarten Friedhof werfen: hier ruhen der Autor des »Leoparden« - Giuseppe Tomasi, Fürst von Lampedusa, sowie seine Frau, die baltische Baronin Alessandra Wolff-Stommersee. Hier liegt wohl auch der »echte« Leopard, Giulio di Lampedusa, Fürst und Astronom, der sich aus Angst lebendig begraben zu werden, mit Hammer und Kneifzange beerdigen ließ. Wäre das Telefon schon erfunden gewesen, hätte er sich wohl damit versehen, so wie es einige Amerikaner gemacht haben. Obendrein sind einige Exemplare sizilianischer Grabkunst zu bewundern. Wer anschließend nicht wieder in die Stadtmitte Palermos zurück möchte, steigt am Corso Calatafimi in den Bus nach Monreale.