Sambaschulen
Kampf auf dem Sambodrom
Bunte Tänzer(innen) heiße Rythmen
Rio zählt unglaublich viele Sambaschulen. Sie reichen von der kleinsten, fünfzehn Darsteller stark, bis zur berühmtesten mit fünftausend Tanzfreudigen. Eine kleine Sambaschule kann sich zu einer großen mausern, indem sie sich mit anderen zusammentut, sich auf diese Weise in einen Bloco verwandelt und in der Folge über mehr Mittel sowie kostbarere und raffiniertere Kostüme verfügt. Hat ein Bloco Erfolg, so versucht man, in die Gruppe der Sambaschulen Nr. 3 zu kommen und dann in der Hierarchie bis zur Gruppe Nr. 1 aufzusteigen. Jede Schule trägt ihre eigenen Farben. Momentan zählt die erste Gruppe zwölf Schulen: von der geschätztesten, »Mangueira« (1928 entstanden, mit den Farben Rosa und Grün), zehnmal Gewinnerin des Karnevals), über eine der jüngsten, »Beija Flor« (1948 entstanden, Farben Blau und Weiß), bis hin zu der mit den meisten Teilnehmern und der ältesten, »Portela« (fünftausend Darsteller, 1923 gegründet), fast zwanzigmal Siegerin.
Für den fantastischen Aufmarsch der Sambaschulen der ersten Gruppe wählt jede von ihnen ein Thema (Enredo) aus der Folklore oder aus der Geschichte Brasiliens aus, veranschaulicht durch ein zu diesem Zweck komponiertes Lied, durch die passenden Kostüme und natürlich die Tänze, Wagen usw.
Zu Wahlkampfzeiten sind die Themen oft stark politisch gefärbt. Eine Schule wählt als Thema die »Wirtschaftsflüchtlinge« des Nordeste aus, eine andere thematisiert die lästigen Verspätungen der Vorstadtzüge. Bei den kleinen Umzügen der Stadtviertel indes war das beliebteste Thema lange Jahre die Präsidentschaftswahl durch das Volk (Queremos as diretas!).
Wartezeit und Preisgericht
Die Schiedsrichter müssen ihr Augenmerk gleichzeitig auf eine Reihe von Dingen richten: die Homogenität jeder Gruppe da eine solche aus 2.000 bis 3.000 Teilnehmern besteht und sie in sich mehrere Themen darstellt, muß vor allem der Eindruck eines wilden Durcheinanders vermieden werden. Der Ton darf auf keinen Fall ausfallen, die Gruppe muß zusammengehalten werden. Zur Musik: eine qualitativ überzeugende Samba, welche die Menge im Chor mitsingt, bringt viele Punkte. Dabei muß eine Gesangsgruppe, die ihren Part innerhalb von zwanzig bis dreißig Minuten entwickelt und vorträgt, Sorge tragen, dass kein Mißklang entsteht, da die Samba, die vorne gesungen wird, hinten mit Verspätung ankommt; sie verschiebt sich sozusagen in dem Maße, wie das Gefolge nachrückt. Gelingt das Kunststück, ist die Harmonia erreicht. Erwähnt seien auch die Bateria, ein Orchester, das manchmal aus mehreren hundert Musikern besteht, die Kostüme von verblüffender Kostbarkeit, die Passistas, jene Tänzer, die neue Tanzschritte erfinden, bezaubernde Mulattinnen, mit nur zehn Quadratzentimetern Stoff bekleidet, in den verrücktesten Sambas, usw. Die Reihenfolge der Gruppen wird per Los entschieden. Es kann der besten Schule durchaus passieren, dass sie eine der letzten im Zug ist. Manchmal, wenn der Aufmarsch schon mit Verspätung beginnt, kann die letzte Gruppe erst am nächsten Morgen gegen 9 oder 10 Uhr loslegen. Da stelle man sich einmal die Teilnehmer vor, die seit dem Vortag an Ort und Stelle auf den Abmarsch warten müssen und versuchen, die zum Tanzen notwendige Körperspannung und Stimmung zu bewahren!
Vor einigen Jahren wurde das Sambodrom erbaut, ein Meilenstein in der eher enttäuschenden Entwicklung hin zur Abkehr des Karnevaltreibens von der Straße. Von häßlichen Zuschauerrängen aus kann der Betrachter nach Berappen einer horrenden Summe den besten Teil des Umzugs miterleben. Auch dies trägt dazu bei, das Volksfest zunehmend zu vermarkten, die sozialen Ungleichheiten zu betonen und zu vertiefen und vor allem mehr Plätze auf dem Schwarzmarkt verhökern zu können. Allabendlich finden in den vornehmen Hotels zusätzlich Bälle statt. Obwohl die Eintrittspreise meist recht saftig sind, lohnt sich der Besuch wegen der wahnsinnigen Stimmung. In Hexenkesseln gleichen Sälen wiegen sich Kostüme, die wie Monumente wirken und deren Pracht nicht mehr mit Worten zu beschreiben ist ...