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Wirtschaft

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Wirtschaft: das größte Problem des Landes

Viele sehen in der Wirtschaft Brasiliens Hauptproblem. Es wird schon viel zu lange darüber gesprochen, eine Hiobsbotschaft scheint die andere zu jagen. Dabei hatte alles einmal so hoffnungsvoll begonnen, wähnte sich Brasilien doch in den achtziger Jahren bereits auf der Schwelle zur neuen Wirtschaftssupermacht. Statt Mammut- und Prestigeprojekte zu fördern, die Entwicklung also sozusagen vom »Kopf« her in Gang bringen zu wollen, hätte man sich besser auf nachhaltige Entwicklungsmodelle besonnen, aber die sind für die Geldgeber (die Industrieländer) nicht attraktiv. Zu Beginn der neunziger Jahre steckte Brasilien in einem Strudel von Armut und Gewalt, aus dem kaum noch ein Entrinnen möglich schien. Die wirtschaftliche Lage hat sich in jüngster Zeit konsolidiert: die aberwitzige Inflation wurde gestoppt, das Vertrauen ausländischer Investoren zurückgewonnen, das Ansehen des Landes in der Welt wieder aufgewertet. Viele Probleme aber sind geblieben: werfen wir zunächst einen Blick auf einen besonders wichtigen Aspekt der Landwirtschaft, die ungleiche Verteilung von Grund und Boden.

Die Latifundistas

Die Latifundistas (Großgrundbesitzer) nutzen von jeher einen von Natur aus armen Boden extensiv und ohne Rücksicht auf ökologische Zusammenhänge: auf diese Weise laugten Zuckerrohr, Reis, Kaffee und Rinder riesige Bodenflächen vollständig aus. Heute haben sich Landverbrauch und Machtstellung der Großgrundbesitzer gegenüber der von Kleinbauern betriebenen Intensiv- beziehungsweise oft auch Subsistenz-Wirtschaft vervielfacht. Die Großgrundbesitzer erweitern ständig ihren Besitz, wobei sie einen Teil brachliegen lassen und auf eine Wertsteigerung des Bodens warten. Für die Bestellung des Bodens werden Exportprodukte bevorzugt, was vor allem auch von den Banken gefördert wird, da es Devisen einbringt. Auf diese Weise verdrängt Soja die Schwarze Bohne, das Zuckerrohr ersetzt Mais, Reis und Maniok – Grundnahrungsmittel für die Armen.

So finanziert die Weltbank ein Fernstraßenprogramm in den Bundesstaaten Maranhâo, Tocantins und Piauí zur Verbesserung der Sojaproduktion im Übergangsgebiet zwischen Amazonien und dem Nordosten. Befürworter sind Großgrundbesitzer und die Bergbaugesellschaft CVRD, die auch den Exporthafen betreibt. Wurden 1991 in den Savannen von Maranhâo 4600 ha Soja gepflanzt, wo waren es 1994 43.000 ha und 1995 200.000 ha. Die CVRD liebäugelt bereits mit einer Million Hektar, und die Weltbank spricht von fünf Millionen Hektar möglicher Sojabohnenfläche. Die Auswirkungen auf Natur und Bevölkerung sind verhängnisvoll. Bereits in den achtziger Jahren zerstörte man die Savannen im mittleren Westen und vertrieb die Kleinbauern – häufig zwangsweise – in die Slums der Städte. Massiver Pestizideinsatz vergiftet das Trinkwasser. Nach einigen Jahres des Anbaus, brechen die Erträge weg, weil der Boden durch die Monokulturen ausgelaugt wird.

Die Landreform (Reforma agrária)

Umfassende Pläne zur überfälligen Agrarreform existieren schon seit langem, verschwanden aber immer wieder in der Schublade. So war 1985 beispielsweise vorgesehen, die mächtigen Großgrundbesitzer mit Ländereien von der Größe Spaniens zu enteignen, um anschließend in den freigewordenen Gebieten 1,5 Mio. arme Bauern anzusiedeln. Es handelte sich um ein ehrgeiziges Projekt, das jedoch die Macht des Geldes und die Korruption außer acht gelassen hatte. Als der Plan dann verwirklicht werden sollte, entbrannte ein regelrechter Kleinkrieg zwischen reichen Landbesitzern und Kleinbauern, der Hunderten von Menschen das Leben kostete. Immer häufiger wurde illegal Land besetzt. Von Großgrundbesitzern und multinationalen Konzernen gedungene Söldner überfielen Dörfer und brachten ganze Familien um. Die Dürre besonders im Sertâo einerseits und das einfache Gesetz des Stärkeren andererseits treibt jährlich Hunderttausende von Bauern in die Slums der Großstädte, wo alleingelassene Kinder nur noch kriminell werden können, um zu überleben. Straßenkinder und Kinder aus den favelas lernen sehr schnell, wie man Kokain weiterverkauft.

Nicht zuletzt das Ausbleiben einer immer wieder versprochenen, in der Praxis jedoch nicht umgesetzten Agrarreform, führte 1984 zur Gründung der Landlosenbewegung MST. Für diese ist die Besetzung unproduktiver Flächen die legitime Antwort auf leere Versprechungen. Über 100.000 landlose Familien gelang es bisher, sich durch Besetzungen anzusiedeln, wobei die Bestzungsaktionen nicht selten mit Risiken verbunden sind. Zwei Massaker an Landarbeitern, eines 1995 mit dreizehn Toten, ein weiteres 1996 mit fünfundzwanzig Toten und zahlreichen Verletzten gelangten sogar in die internationalen Schlagzeilen. Wehrlos waren Kleinbauern niedergemetzelt worden. Anfang 1997 steht eine Verurteilung der Schuldigen aus.

Im Jahresbericht 1985 der kirchlichen Landarbeiterpastoral CPT wird eine dramatische Zunahme der Landkonflikte dokumentiert. Insgesamt 554 Konflikte, worin 318.458 Personen verwickelt waren. In ganz Brasilien kam es im Jahr 1995 zu 146 Landbesetzungen.

Das vom 1994 gewählten brasilianischen Präsidenten Fernando Henrique Cardoso angekündigte Ansiedlungsprogramm konnte die Erwartungen bisher nicht erfüllen, die Landkonflikte nicht entschärfen. Die Grundbesitzverteilung – fast die Hälfte aller landwirtschaftlich nutzbaren Flächen befinden sich in der Hand von 2 % der Eigentümer – wird letztlich nicht energisch angegangen, so dass sich auch in absehbarer Zeit nichts Grundlegendes ändern dürfte.