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Mystisch

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Das afrikanisch-mystische Brasilien

Kulturelle Einflüße

Karneval, Musik und Capoeira haben sich längst unter den Weißen durchgesetzt. Die Ursprünge des brasilianischen Karnevals liegen teils in der afrikanischen Musik und im afrikanischen Tanz, teils im portugiesischen Entrudo. Auch auf kulinarischem Gebiet haben sich afrikanische Einflüsse eine festen Platz erobert. Bahia verfügt über eine ausgezeichnete Küche, inzwischen repräsentativ für ganz Brasilien.

In der ungewöhnlichen Ausbreitung religiöser, afro-brasilianischer Riten indes wird das Phänomen am deutlichsten. Bei ihrer Ankunft in Brasilien mußten die schwarzen Sklaven aus Afrika die systematische Zerstörung ihrer gesellschaftlichen Ordnung und ihrer kulturellen Identität hinnehmen. Stämme, Völker und Familien wurden aufgelöst, Bräuche und Religion durften nicht weiter ausgeübt werden. Die meisten mußten den Glauben ihres Herrn, nämliche den katholischen, annehmen, was sie jedoch nicht daran hinderte, ihre Religion heimlich auszuüben: sie gaben vorsichtshalber den eigenen Göttern die Namen katholischer Heiliger und paßten zugleich ihre Zeremonien an. Mit der Zeit vermischten sich Elemente aus der katholischen Kirche und den afrikanischen Religionen zu einer neuen, originellen, unter dem Begriff candomblé zusammengefaßten Religion, deren Ritenteilweise an den haitianischen Woodoo-Kult erinnern. Die Götter, oder auch orixás, stehen stellvertretend für ganz bestimmte Mächte, wie z.B. die Natur, den Wald, das Meer, die ihre Wurzel auf afrikanischem Boden haben. Sie weisen zahlreiche Symbole und Charakteristika auf und besitzen sogar eine bestimmte Farbe für jeden Einzelnen.

Gott und Woodoo-Kult

Afro-brasiianische Riten

Die ersten terreiros de candomblé (Tempel) tauchten um 1830 auf. Lange Zeit übten sie ihre Aktivitäten nur im Verborgenen aus, da stets von den Behörden überwacht. Schließlich konnte sich der candomblé durchsetzen und verbreitete sich schlagartig. Allein in Salvador gibt es heute an die tausend terreiros, die meisten in einfacheren Vierteln und Favelas. Aufgrund der vielfältigen Ursprünge der Religionen und Glaubensrichtungen aus afrikanischen Ländern wie Benin, Nigeria, Angola, Mosambik usw. zählt man fast soviel verschiedene candomblé-Riten wie terreiros. Im Wesentlichen bleiben jedoch Glaubensgrundsätze und Ablauf die gleichen. Jeder Gläubige besitzt einen oder mehrere, meist jedoch zwei, orixás (eigentlich santo, Heiliger) und übernimmt deren Eigenschaften. Es kann vorkommen, dass sich ein Mann oder eine Frau nicht binden können, weil sie zu verfeindeten orixás gehören. Jeder orixà hat seinen eigenen Feiertag, pflegt seine zeremoniellen Besonderheiten, bestimmte religiöse Gesänge und eine unverwechselbare Symbolik. Morgens werden ihm Opfergaben dargebracht – um seinen orixá zu ernähren, alimentar o santo – nicht selten in Gestalt lebender Tiere. Hier nimmt der Candomblé-Ritus Züge einer volkstümlichen Psychotherapie an: dank seines orixá gelingt es dem Menschen, verborgene Aspekte seiner Persönlichkeit, Wünsche und Ängste, ans Tageslicht zu fördern. Dies hat ganz praktische Folgen: sobald der persönliche orixá gefunden ist, braucht man diesen nur noch richtig zu »ernähren«, um seinen Alltag besser beherrschen zu lernen. Und damit ist man auch schon auf dem Weg zu sich selbst ...

Gruppentherapie oder -Hysterie

Die eigentlichen Zeremonien finden am Festtag des Orixá statt; dabei kommt dieser auf bestimmte Offizianten herab, die dann von ihm »besessen« werden. Den Ablauf der Zeremonie regelt der pai de santo oder die mâe de santo (Heiligenvater oder Heiligenmutter). Bei dieser Gelegenheit werden auch die Novizen eingeführt, welche vorher eine lange Initiation (Einführung, Einweihung) durchlaufen mußten.

Gläubige finden bei den orixàs eine Antwort auf ihre Probleme während der verschiedenen Phasen jeder Zeremonie. Somit hat der terreiro eine gewichtige Rolle innerhalb des gesellschaftlichen Lebens in Brasilien inne. Das geht manchmal so weit, dass er einen regelrechten Kristallisationspunkt darstellt und alle Einwohner eines Viertels vereint.

Die Weißen machten sich lange Zeit über Riten und Glauben der Schwarzen lustig; jetzt wird die Zahl derjenigen, die sich mit den Praktiken der afro-brasilianischen Religion vertraut machen, immer größer. Durch Vermischung mit den Thesen und Lehren des Franzosen Alan Kardec, dem Vater des Spiritismus, entstand so in den Metropolen des Südens wie Rio, Sâo Paulo, Belo Horizonte und Brasília der umbanda (Abwandlung des candomblé).

Umbanda-Sitzungen finden eher zu bestimmten Daten und festgelegten Uhrzeiten in der Woche statt und richten sich weniger nach dem Kalender der afro-christlichen Gottheiten. Es handelt sich dabei um regelrechte Gruppentherapien, wobei gewöhnlich auf prachtvolle Gewänder und Kostüme wie beim candomblé verzichtet wird. Auf diese Weise rächten sich die Nachkommen der Sklaven in Brasilien, nämlich indem sie die Weißen für Elemente ihrer Kultur gewinnen. Diese Entdeckung wird einer der faszinierendsten Aspekte sein, den man während seines Aufenthaltes erlebt.