Das dunkle Zeitalter
Vom goldenen Zeitalter zum Obskurantismus
Vernichtung der weltberühmten Bibliothek Alexandriens
Das christliche Europa vergaß das Erbe der Antike (Aristoteles, Eratosthenes, Ptolemäus) zunächst fast vollständig. Die Kirchenfürsten blockten jeglichen wissenschaftlichen Fortschritt kurzerhand ab. Die christlichen Geographen mußten ihre ganze Kraft darauf verwenden, das Weltbild mit den Aussagen der Heiligen Schrift in Einklang zu bringen. Und wenn in der Bibel eben steht, dass die Welt vier Ecken hat ... Kurz, Geographie gehörte nicht zum Kanon der sieben freien Künste. Folglich wurde sie wegen ihrer untergeordneten Stellung zu einem verworrenen Mischmasch aus halb sagenhaftem Wissen, Bibelstellen, philosophischen Spekulationen und mythischen Fantasien.
Man kann also ruhig behaupten, dass die antike Naturwissenschaft den christlichen Glauben bedrohte, dass der Aufstieg des Christentums und der Untergang des weströmischen Reichs im Gefolge der Völkerwanderung einen beträchtlichen Kulturverlust bedeuteten. Wir wollen das Klischeebild vom finsteren Mittelalter hier nicht über Gebühr strapazieren, aber es ist schon etwas Wahres daran, wenn es heißt, die Renaissance habe den Triumph des freien Denkens mit sich gebracht.
Zudem stülpte das Christentum über alles ihm Verdächtige – und das war fast alles – die dumpfe Glocke seiner Ideologie. Kunst konnte sich nur noch zu religiösen Themen entfalten. So zählen wir zwar jahrhundertelang ödipale, (in-?)brünstige Marienbilder, schwülstige Heiligengemälde usw. zuhauf, aber sonst kaum nennenswerte andere Darstellungen. Über den Wissenschaften schwebte fortwährend das Damoklesschwert kirchlichen Banns, so dass Fortschritt auf lange Zeit behindert wurde. So durfte z.B. nicht seziert werden. Die Kenntnisse der Antike verfielen, wurden unterdrückt, verfälscht. Die weltberühmte Bibliothek Alexandriens mit vierzig Millionen Schriftstücken, die das gesamte Wissen der Antike barg, stecken sie in Brand, da Heidenwerk. Überall Engstirnigkeit, katholischer Mief, der jegliche gesellschaftliche Entwicklung bremste und – gemessen an der Antike z.B. – zu mehr oder weniger sanfter Verblödung führte. Protest? Bitte schön, hier ein Beispiel aus dem lesenswerten »Pfaffenspiegel« Otto von Corvins: ein »nicht sehr altes Breslauer Gesangbuch« legt Zeugnis davon ab, dass Christen mit folgendem fröhlichem Verschen auf den Lippen anzutreffen waren:
»Ich bin ein altes Rabenaas / Ein rechter Sündenknüppel / Der seine Sünden in sich fraß / Als wie den Rost der Zwibbel. / Oh Jesus nimm mich Hund am Ohr, / Wirf mir den Gnadenknochen vor, / Und schmeiß mich Sündenlümmel / in deinen Gnadenhimmel.
Wessen Erkenntnisse nicht mit der Bibel übereinstimmten, wer gegen die Dogmen verstieß, landete auf dem Schafott. Wie vertraut klingt doch die Forderung der Heiligen Inquisition an Galilei – 1993 (!) erklärte die Kirche nach dreizehnjähriger Überprüfung, dass ihm Unrecht geschehen sei – er möge seine Ergebnisse nicht als Tatsachen behaupten, sondern als Hypothese darstellen, so dass man nicht gegen ihn einschreiten werde. Da fällt uns immer eine andere fromme Scheinheiligkeit ein: Freitags darf man kein Fleisch essen. Aber was ist mit dem üblichen Fisch? Der scheint sich an jenem Tag wohl immer in Gemüse zu verwandeln?
Hier eine der schmachvollsten »Abschwörungen« der Kirchengeschichte vom 22. Juni 1633 im Wortlaut, ausgelöst durch eine Schrift über die Erkenntnisse des Ostpreußen Kopernikus:
»Ich, Galileo, siebzig Jahre alt, kniend vor Euren Eminenzen, die Heiligen Evangelien vor Augen, schwöre, dass ich immer geglaubt habe, gegenwärtig glaube und mit Gottes Beistand alles glauben werde, was die katholische Kirche festhält, bestimmt und lehrt. Der Irrlehre bin ich verdächtigt worden zu glauben, dass die Sonne im Mittelpunkt der Welt stehe und unbeweglich sei, dass die Erde nicht Zentrum sei und sich bewege. Da ich nun diesen Verdacht wegnehmen möchte, schwöre ich ab, verwünsche und verfluche ich mit aufrichtigem Herzen die genannten Irrtümer und Ketzereien.«
Was tönte der damalige Obertheologicus in Rom? Von einem »unglücklichen Irrtum«, einem »tragischen wechselseitigen (!?) Mißverständnis ist die Rede. Der Fall sei zu einem Beispiel dafür geworden, dass die Kirche den wissenschaftlichen Fortschritt »vermeintlich ablehne«. Die Theologen der damaligen Zeit hätten jedoch nur in der Annahme geirrt, dass der Wortlaut der Heiligen Schrift den physischen Zustand der Welt beschreibe.
Mittlerweile sei die Unvereinbarkeit von Wissenschaft und Glauben überholt, frohlockt er. Der Vorgang sei im Gegenteil ein Beispiel für die Vereinbarkeit von Wissenschaft und Religion. Man habe damals nur nicht erkannt, dass es zwei Reiche des Wissens gebe. »Eines, dessen Quelle die Offenbarung ist, und eines, welches der Verstand durch eigene Kraft zu erkennen gibt«.
Papst und Kardinal Poupard unterstrichen, dass man die Inquisitionsrichter nicht in Bausch und Bogen verdammen dürfe: sie hätten ja »in gutem Glauben gehandelt«. Das allerdings haben KZ-Wächter auch. Welcher Machthaber, welcher gehobene Verbrecher hätte jemals etwas anderes getan? Und überhaupt: »Irrtümer« sind immer gut, »wechselseitige Mißverständnisse« besser, wohlgemerkt: »wechselseitige«; das beste aber ist die unbezahlbare »Tragik«, mit der man alle noch erkennbaren Verantwortlichkeiten in gnadenreicher Unklarheit untergehen lassen kann. Wieso müssen ein Galilei, ein Kopernikus »rehabilitiert« werden? Das muß die Kirche als Angeklagte vor der Geschichte, nicht die Opfer, wenn sie sich nur entschlösse, vorbehaltlos ihre Schuld anzuerkennen.
So verdammt Gregor XVI. Gewissensfreiheit als »Wahnsinn« und »seuchenartigen Irrtum«, ein Herzensmotiv aller heiligen Väter seit 1789, Jahr der Französischen Revolution. Er giftet nicht nur gegen »jene nie genug zu verurteilende und zu verabscheuende Freiheit des Buchhandels«, sondern macht auch noch 1836 im Index der verbotenen Bücher das Lesen der Bibel in der Volkssprache abhängig von der Genehmigung der römischen Inquisition. Eine Verfügung, die endgültig erst Leo XIII. im Jahre 1897 aufhebt.
Dort stand übrigens auch seit seiner Neuauflage 1854 das Werk des vorerwähnten Kopernikus über die Himmelsbahnen, womit er das ptolemäische Weltbild der Kirche zugunsten des heliozentrischen (wie bei Galilei erwähnt ist nicht die Erde, somit der Mensch, Mittelpunkt des Alls, sondern sie umkreist die Sonne) aus den Angeln hob, Jahrhunderte nachdem alle Welt bereits mit seinen Ergebnissen rechnete, die Ozeane durchquerte usw.
enn Johannes Paul II. darauf verweist, dass Kopernikus anders als Galilei nicht zu Lebzeiten verurteilt worden sei und ihn »rehabilitiert« – wovon eigentlich? – so ist das frommer Betrug. Ging ja gar nicht, denn im Jahr des Erscheinens erwähnten Buches 1543 holte ihn bereits der Teufel, bevor der Papst zuschnappte, während Galilei noch neun Jahre nach seiner Abschwörung gut bewacht von der Inquisition bis zu seinem Ende unter Hausarrest stand.