Buddhismus
Buddhismuswelle im Westen
Himmel vs. Nirwana
Dem Buddhismus widerfährt derzeit im Westen eine bestimmte Art von Verhunzung, wofür Bertoluccis Film »Little Buddha« höchst symptomatisch ist. Ein esoterisch mystifizierter und ästhetisierter Buddhismus wird hier kultiviert, Produkt einer Zivilisation, die auf der Suche nach dem »Ganz Anderen« zu sein behauptet, aber immer nur sich selber wiederfinden will. »Schöner meditieren« lautet das Designerlogo dieses Pseudobuddhismus.
Aber gemach! Bevor wir so heftig darüber herfallen, räumen wir besser erst einmal ein, dass es so viele Buddhismen wie Christentümer gibt. Wie sollte man den einen gegen den anderen ausspielen können, wie überhaupt sagen, was ein authentischer Buddhismus ist? Und wenn es den gibt können ihn die Menschen des Westens wirklich verstehen? Müssen sie daran nicht scheitern? Und wenn sie sich ihn anverwandeln wollen kann das ohne Kompromisse, also ohne ein gewisses Maß an Verfälschung geschehen? Fremde Kulturen sind schon grundsätzlich schwer genug kennenzulernen; da helfen auch die schönsten Berufungen auf das verbindende Allgemeinmenschliche nicht. Zentrale buddhistische Lehren aber, zumindest in ihrer urbuddhistischen Form, sind den Menschen des Westens zweifellos besonders fremd.
Wo sie es in der christlichen Überlieferung gewohnt sind oder waren, an einen Gott, einen Gottmenschen, einen Erlöser zu glauben, bietet der Ur-Buddhismus, wie er in der Form des Theravada-Buddhismus (auch Hinajana-Buddhismus genannt) auf uns gekommen ist, in der Person des Stifters nur einen großen Menschen und Lehrer, dem nach langen Wegen, auch Irrwegen, die Befreiung aus Gier, Haß und Verblendung, aus dem Leiden des Lebens, aus dem Kreislauf der Wiedergeburten geglückt ist. Der »Buddha« ist der »vollständig Erwachte«, nicht der von irgendwoher »Erleuchtete«, wie oft irreführend übersetzt. Der Weg der Selbsterlösung steht gegen die christliche Idee der Fremderlösung: wenn der Buddha lehrt, leitet er zu dieser Selbsterlösung an. Wenn er ein Mittler ist, dann der Vermittler eines Wegs. Auf den Weg kommt es an so sehr, dass es völlig gleichgültig ist, ob man das eine Religion oder eine Philosophie oder eben schlicht einen Weg nennen will.
Leben als Geschenk
Wo den Menschen des Westens die Individualität, die unteilbare, unverwechselbare Person so wichtig, auch so selbstverständlich ist, dass sie ihnen als unsterbliche Seele gleich ewig dauert, lehrt der Buddhismus hier übrigens auch in schroffem Gegensatz zu der ihm vorausgehenden Lehre der Weden dass es kein wirkliches substantielles Selbst, sondern nur einen halt- und ruhelosen Prozeß, ein nicht erst im Tode, sondern in jedem Lebensmoment entstehendes und vergehendes Aggregat von Daseinsfaktoren gibt. Unser allerliebstes Ich ist aus dieser Sicht nicht einmal etwas, das überwunden werden muß, weil es in Wahrheit gar nicht existiert.
Wo die Menschen des Westens tief daran glauben, dass das Leben ein Geschenk, die Welt ein Licht und das Leiden nur ein relatives Moment des Lebens ist, identifiziert der Buddhismus in der ersten seiner »vier edlen Wahrheiten« Leben und Leiden. Das Leiden und der Durst nach Leben als Quelle des Leidens sind, was überwunden werden soll.
Wo in den Menschen des Westens dieser Durst, das Bewußtsein ihrer Individualität und die Vorstellung des an sich guten Lebens so tief verwurzelt sind, dass sie ihr Selbst mit allen irdischen und überirdischen Mitteln am Leben erhalten wollen, sucht der Buddhismus Befreiung aus dem Kreislauf von Geburt und Wiedergeburt. Der Reinkarnation, welche die Menschen des Westens, soweit sie in der christlichen Tradition stehen, als »Auferstehung des Fleisches«, als ihre jenseitige und zugleich leibliche Unsterblichkeit ersehnen, will der Buddhismus gerade entgehen.
Wo die Menschen des Westens im »Karma«, das die Reinkarnation bedingt, gerne ein höchstpersönliches Geschick, ein narzißtisch hochinteressantes, transzendentes Erbstück vermuten, das sie leidenschaftlich gerne astrologisch entziffern, bezeichnet der Buddhismus damit ganz unattraktiv eine selbsttätige, nicht etwa eines Gerichtes und eines Richters bedürftige Vergeltungskausalität. Die Wiedergeburt ist das Urteil, das jedes Leben sich selber fällt.
Wo die Menschen des Westens das »Nirwana«, gewiß den schwierigsten, auch im Buddhismus gegensätzlich gedeuteten Teil der Lehre, schnell als eine Art Himmel oder Paradies mißverstehen, als Utopie seligmachender Verheißung, meint der Buddhismus damit das vollständige Erlöschen aller Daseinsfaktoren, von Gier, Haß und Verblendung, wobei man das Nirwana freilich auch nicht als absolutes Nichts im westlichen Sinn auffassen darf.
Der »edle achtfache Pfad« schließlich, der dahin führen soll, mag zwar im Unterschied zu jenen masochistischen Askesetechniken, wie sie die religiöse Tradition Indiens dem Buddha vorgab und auch er sie zunächst versuchte, ein »mittlerer Weg« sein; gemessen an dem freilich, wie die Menschen des Westens leben, ist es ein ziemlich spröder, ziemlich anspruchsvoller Weg, der größte Ausdauer verlangt. Wie schlicht es auch scheint: so einfach macht sich das rechte meditative »Sichversenken« nicht. Das erste Wort lautet Geduld, das zweite, dass man hier nichts willkürlich herbeiführen kann, das dritte wieder Geduld, Geduld und noch einmal Geduld.