Kulturverlust
Finsteres Mittelalter
Frömmigkeit und Ignoranz
Düstere Legenden über Friedrich II.
Das christliche Europa vergaß das Erbe der Antike (Aristoteles, Eratosthenes, Ptolemäus) zunächst fast vollständig. Die Kirchenfürsten blockten jeglichen wissenschaftlichen Fortschritt kurzerhand ab. Die christlichen Geographen mußten ihre ganze Kraft darauf verwenden, das Weltbild mit den Aussagen der Heiligen Schrift in Einklang zu bringen. Und wenn in der Bibel eben steht, dass die Welt vier Ecken hat ... Kurz, Geographie gehörte nicht zum Kanon der sieben freien Künste. Folglich wurde sie wegen ihrer untergeordneten Stellung zu einem verworrenen Mischmasch aus halb sagenhaftem Wissen, Bibelstellen, philosophischen Spekulationen und mythischen Fantasien.
Welch Gegensatz zu dem toleranten und von arabischem Denken beeinflußten Friedrich II. noch, der ein in seinem Ansatz ketzerisches und revolutionäres Werk über die Falkenjagd (»Über die Kunst mit Vögeln zu jagen«; kurz meist als »Falkenbuch« bezeichnet) verfaßte und darin bekannte, ausschließlich Selbsterlebtes und -beobachtetes zu beschreiben und damit alle philosophisch-theologischen Vorgaben verworfen hatte.
Ein Vorgehen genaues Beobachten und kein Unterschlagen von Tatsachen und Beobachtungen, logische Schlüsse und ggf. Überprüfung durch Experimente das Grundlage jeder Wissenschaft ist. Erst Ende 1994 bis Anfang 1995 war dieses berühmte Werk in der Württembergischen Landesbibliothek in Stuttgart anläßlich Friedrichs achthundertsten Geburtstags zu sehen.
Wessen Erkenntnisse nicht mit der Bibel übereinstimmten, wer gegen die Dogmen verstieß, landete auf dem Schafott. Wie vertraut klingt doch die Forderung der Heiligen Inquisition an Galilei 1993 (!) erklärte die Kirche nach dreizehnjähriger Überprüfung, dass ihm Unrecht geschehen sei er möge seine Ergebnisse nicht als Tatsachen behaupten, sondern als Hypothese darstellen, dann werde man nicht gegen ihn einschreiten.
Ein Licht auf Friedrichs analytischen Sinn und die Überprüfung seiner Erkenntnisse durch Experimente wirft ein Klageschreiben eines Pfaffen jener Zeit, das inhaltlich nicht richtig sein muß, weil er Friedrich, der mit dem Papst auf schlechtem Fuß stand, anschwärzen wollte. Aber auch wenn die Behauptungen nicht stimmen sollten, so treffen sie doch gut Friedrichs Charakter.
Er beschreibt also, dass Friedrich den Ammen eines Waisenhauses aufgetragen habe, nie ein Wort in Gegenwart der Kinder zu reden, die verschiedener Herkunft, arabisch, normannisch, jüdisch etc. waren, um herauszufinden, welche Sprache sie denn künftig sprächen. Ob es jeweils die ihrer Abstammung gemäße oder die der Bibel, das Hebräische sein würde? Er habe Pech gehabt, denn alle seien verstorben.
Ferner soll er nach dieser Quelle zwei Männer fürstlich bewirtet, dann den einen auf die Jagd und den anderen schlafen geschickt haben. Danach seien beide getötet und seziert worden, um herauszufinden, welcher besser verdaut habe. Es sei, wie erwartet, der Jäger gewesen. Schließlich habe er einen Mann tagelang in ein Faß stecken und darin umkommen lassen, um zu sehen, ob die Seele davonfliege. Als sich keine Seele bemerkbar machte, habe er daraus geschlossen, dass es keine gebe.
Wie gesagt, diese Vorfälle sind vielleicht nur ersonnen, um ihn mißliebig zu machen, wahr ist aber folgendes: zu seiner Zeit war der Aberglaube verbreitet, dass viele Vögel zur kalten Jahreszeit Winterschlaf hielten. Friedrich rüstete Expeditionen aus und wies nach, dass sie sich nur andernorts, jenseits der Alpen aufhielten, dass es sich also um Zugvögel handelte. Andere glaubten, dass eine Ringeltaubenart aus den Würmern im Holz alter, verfaulender Schiffe an den Küsten Nordeuropas entstehe und dass die Vögel mit dem Schnabel bis zum Flüggewerden an den Planken hingen, um sich zu nähren.
Wiederum überprüfte Friedrich dies durch eine Expedition. Zu Hause sah er sich die heimgebrachten Planken an, stellte fest, dass keine Spur von Ringeltauben zu sehen war, und erklärte das Ganze zu Unsinn, bis jemand das Gegenteil bewiese.
Die Kenntnisse der Araber in Biologie, Physik, Chemie oder Medizin z.B. mußten die unter der Fuchtel der Kirche stehende Forschung bedrohen, denn deren Vertreter waren nur damit beschäftigt, die Aussagen der Bibel mit ihren Erkenntnissen stimmig zu machen, wenn sie überleben wollten.
Man kann also ruhig behaupten, dass sowohl die antiken als auch die arabischen Naturwissenschaften den christlichen Glauben bedrohten, dass der Aufstieg des Christentums und der Untergang des Weströmischen Reichs im Gefolge der Völkerwanderung einen beträchtlichen Kulturverlust bedeuteten.
Wir wollen das Klischeebild vom finsteren Mittelalter hier nicht über Gebühr strapazieren, aber es ist schon etwas Wahres daran, wenn es heißt, die Renaissance habe den Triumph des freien Denkens mit sich gebracht. Erst zu dieser Zeit begann man, sich von den christlichen Vorgaben zu befreien und systematisch und vorurteilsloser die heidnischen und arabischen Schriften und Wissenschaften zu erforschen. Aus Beobachtung, Experiment und logischem Denken gewonnene Kenntnisse wurden Grundlage der Wissenschaften.