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Mafia im 20. Jh.

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Die Mafia im 20. Jahrhundert

Die Macht der Bosse bröckelt langsam

Korrupte Politiker und feige Attentäter

  • Faschismus und Nachkriegszeit: Zur Zeit des italienischen Faschismus versank die Mafia zunächst in eine Art Dornröschenschlaf – Mussolini machte ihr fast den Garaus – wurde aber gleich nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wachgeküßt, denn Amerikanern und Christdemokraten präsentierte sie sich als antikommunistische Kraft bzw. Ordnungsmacht, und das war gefragt. Damals organisierte sich die »ehrenwerte Gesellschaft« nicht nur neu, sie richtete ihr Augenmerk auch auf Regionen außerhalb Siziliens. Dort lockten schließlich Wiederaufbau (Ricostruzione) und Wirtschaftswunder (Miracolo economico) mit neuen, üppig sprudelnden Geldquellen. Der Ausbreitung der Mafia über Sizilien hinaus vermochte auch die Arbeit des 1962 eingesetzten ständigen Parlamentsausschusses, der Commissione Parlamentare sul Fenomeno della Mafia, kurz Commissione Antimafia genannt, nichts entgegenzusetzen.
  • Sechziger Jahre In den sechziger Jahren galt das Hauptaugenmerk der Mafia den Immobilien. Dank ausgeprägter Bakschischtradition sind Baugenehmigungen unschwer zu erwirken. In Italien kann der Staat bzw. dessen Vertreter Ausschreibungen zuteilen oder Bewerbungen ohne jede Begründung ablehnen. Es wird ja alles so leicht, wenn man eine Handvoll Politiker kauft – besonders anfällig waren die der (weiland) Democrazia Cristiana (DC). Es gibt ein Gesetz, das den Abriß von Häusern verbietet, wenn sich das Dach schon darauf befindet, auch wenn es ohne Genehmigung errichtet wurde. Allein die Mafia verfügt über Mittel und Leute, um Häuser zu bauen – in einer Nacht! – bevor die Polizei anrückt. Kein Wunder, dass so viele Betonblocks die sizilianischen Städte entstellen.
  • Siebziger Jahre: In den siebziger Jahren sollte es noch schlimmer kommen: seit dem Ende der »French Connection« um 1974 wandte sich die Mafia dem Drogengeschäft zu – auch hier läßt sich bekanntermaßen beträchtlicher Reibach erzielen. Sie entwickelte sich fortan zu einem florierenden Unternehmen mit politischer und juristischer Deckung. Vertreter der sizilianischen Justiz, die Mafia und Korruption den Kampf angesagt hatten, bezahlten ihren Einsatz nicht nur mit dem Leben (beispielsweise der Gerichtspräsident Rocco Chinnici, der Staatsanwalt Ciaccio Montauro, der Hochkommissar des Innenministeriums Carlo Alberto della Chiesa oder das Mitglied der Anti-Mafia-Kommission Pio La Torre, der ein Gesetz gegen die Vermögensbildung mit Hilfe von Mafiageldern vorbereitet hatte), es gelang ihnen unter diesen Umständen auch kaum, stichhaltige Beweise für die kriminelle Herkunft von investierten Geldern auf den Tisch zu legen.
  • Achtziger Jahre: In den achtziger Jahren machte die Mafia erneut von sich reden, nicht zuletzt in Zusammenhang mit zweifelhaften Geldgeschäften der Vatikanbank. Nach 1981 zog ein blutiges Jahr nach dem anderen ins Land. Zwei Sippen, die Corleone bzw. in Palermo mehrere Viertel kontrollieren, bekriegten sich um die Kontrolle des Waffen- und Drogenhandels. Sie sorgten ständig für Schlagzeilen, besonders in der ORA, dem lokalen Boulevardblatt. Reden hörte man von diesen Umtrieben aber nur selten, denn das Gesetz des Schweigens funktionierte nach wie vor, und auch in naher Zukunft wird die Mafia nicht das Stammtischgespräch bestreiten.

    1983 schlug die Verhaftung des Mafiabosses Tommaso Buscetta landes- und weltweit Wellen: nicht etwa, weil es dem Ganoven, seinen Hintermännern in Staat, Politik und Gesellschaft nun endlich ans Leder gegangen wäre, sondern weil der folgende Mammutprozeß die Ohnmacht aller auf die Bekämpfung der Mafia gerichteten Kräfte bewies. So endeten die meisten Verfahren denn auch mit Freisprüchen. An den gesellschaftlichen Verhältnissen – Sizilien war damals fest in der Hand der seit dem Krieg ununterbrochen regierenden Christdemokraten – änderte sich damals erst einmal noch nichts.

  • Neunziger Jahre: Zahlreich sind dagegen seit dem vergangenen Jahrzehnt jene Privatpersonen, Vereinigungen, Parteien oder Gewerkschaften, die fest entschlossen sind, der Mafia Paroli zu bieten. Zungen lockern sich, mutige Zeugen sagen aus, unerschrockene (und unkäufliche) Richter führen ihre Untersuchungen unter Lebensgefahr bis zum bitteren Ende.

    Die feigen Morde im Frühjahr 1992 an den beiden Richtern Falcone und Borsellino, durch gewaltige Finanzmittel möglich gemacht, bewiesen mit erschreckender Deutlichkeit die Entschlossenheit der Mafia und ihre funktionierenden Verbindungen bis in die höchsten Sphären italienischer Politik. Empörung und Verurteilung dieser Meuchelmorde quer durchs ganze Land und alle Gesellschaftsschichten ließen zum ersten Mal die Hoffnung aufkeimen, dass sich Sizilien eines Tages von seinem üblen Ruf, der ihm seit Jahrhunderten anhaftet, befreien könnte.

    Verfolgen wir noch ein wenig die Chronologie der jüngsten Ereignisse: die Verhaftung des zweiundsechzig Jahre alten Chefs des Corleone-Clans, Salvatore Riina, genannt »Toto«, am 15. Januar 1993 in Palermo war ein gewaltiger Schritt nach vorn im Kampf gegen die Mafia. Der mächtigste Mann des Untergrunds hatte zwanzig Jahre lang im Verborgenen gelebt und sogar seine Heirat und die Geburt seiner Kinder geheimgehalten. Gegen ihn lagen neun Haftbefehle vor, außerdem war er bereits in Abwesenheit zu lebenslänglicher Haft verurteilt worden. Der Schlag, den seine Festnahme auslöste, und die plötzlichen Geständnisse etlicher Unternehmer und reuiger Politiker führte dann zu einer Reihe von Selbstmorden, die heute noch in aller Munde sind.

    Im November 1993 schließlich wurde der verbissene Mafiagegner Leoluca Orlando mit überwältigender Mehrheit (75% der Stimmen) zum Bürgermeister von Palermo gewählt, nachdem dieser von seinen christdemokratischen Parteifreunden fallengelassen worden war und er daraufhin eine eigene Partei gegründet hatte.

    Weitere Etappensiege für die Mafiagegner: 1995 wurde Leoluca Bagarella, der Schwager von Riina und selbst ein wichtiger Drahtzieher der Mafia, verhaftet; seit 1996 sitzt auch der berüchtigte Boss Giovanni Brusca im Gefängnis. Er war an dem Attentat gegen Falcone persönlich beteiligt und soll den minderjährigen Sohn seines Gegners Di Matteo grausam ermordet und in Säure aufgelöst haben.

    Ebenfalls 1996 erfolgte die Verurteilung Bruno Contradas zu zehn Jahren Haft wegen Unterstützung der Cosa Nostra: dieser hatte zwei Jahrzehnte lang, bis zu seiner Verhaftung 1992, als prominentester Mafiajäger gegolten.

    Die Polizei fahndet noch immer fieberhaft nach Bernardo Provenzano, einem der wichtigsten Bosse, der sich seit Jahrzehnten ein Katz-und Maus-Spiel mit den Gesetzeshütern liefert. Sein einstiger Mafia-Vorgesetzter sagte übrigens über ihn, er schieße zwar wie ein Gott, besitze aber das Hirn einer Henne...

    Neben den Verhaftungen sind auch andere Mittel denkbar, um gegen das Krebsgeschwür Süditaliens vorzugehen. 1995 machte der italienische Finanzminister mit seinem Vorschlag von sich reden, wie man Mafia und Camorra durch Entzug der finanziellen Basis ausrotten könnte: indem man deren bisher illegalen Wetten und Lottospiele legalisiert und damit gleichzeitig eine Geldquelle für die Sportverbände, z.B. das nationale olympische Kommitee, erschließt.

  • Ausblick: Doch der Kampf ist noch lange nicht gewonnen; die Fangarme der Krake reichen noch weit. Wie der ermordete Richter Giovanni Falcone richtig erkannte: »Ein besonderer Glücksfall für die Mafia ist die europäische Einigung, denn durch sie fallen die politischen und wirtschaftlichen Grenzen«.

    Bislang scheint die Zusammenarbeit zwischen den »Maulwürfen« innerhalb der Staatsorgane – sogar die Geheimdienste sind betroffen, wie der Fall Contrada zeigte! – und der Unterwelt zu funktionieren: noch 1994 wurden in Catania fünf Polizisten, ein Carabiniere und ein Feldwebel der Finanzwache wegen Begünstigung der Cosa Nostra verhaftet, auf deren Honorarliste sie schon geraume Zeit gestanden hatten. Sie unterrichteten Mitglieder des Clans jahrelang über bevorstehende Justizaktionen. Wie meinte Nitto Santapaola, Catanias mächtigster Boß, doch so treffend: »Die Bullen? Na ja, sie kosten mich eine Stange Geld, aber sie achten mich.« Man darf also gespannt in die Zukunft schauen ...