Mafia im 20. Jh.
Die Mafia im 20. Jahrhundert
Die Macht der Bosse bröckelt langsam
Korrupte Politiker und feige Attentäter
1983 schlug die Verhaftung des Mafiabosses Tommaso Buscetta landes- und weltweit Wellen: nicht etwa, weil es dem Ganoven, seinen Hintermännern in Staat, Politik und Gesellschaft nun endlich ans Leder gegangen wäre, sondern weil der folgende Mammutprozeß die Ohnmacht aller auf die Bekämpfung der Mafia gerichteten Kräfte bewies. So endeten die meisten Verfahren denn auch mit Freisprüchen. An den gesellschaftlichen Verhältnissen Sizilien war damals fest in der Hand der seit dem Krieg ununterbrochen regierenden Christdemokraten änderte sich damals erst einmal noch nichts.
Die feigen Morde im Frühjahr 1992 an den beiden Richtern Falcone und Borsellino, durch gewaltige Finanzmittel möglich gemacht, bewiesen mit erschreckender Deutlichkeit die Entschlossenheit der Mafia und ihre funktionierenden Verbindungen bis in die höchsten Sphären italienischer Politik. Empörung und Verurteilung dieser Meuchelmorde quer durchs ganze Land und alle Gesellschaftsschichten ließen zum ersten Mal die Hoffnung aufkeimen, dass sich Sizilien eines Tages von seinem üblen Ruf, der ihm seit Jahrhunderten anhaftet, befreien könnte.
Verfolgen wir noch ein wenig die Chronologie der jüngsten Ereignisse: die Verhaftung des zweiundsechzig Jahre alten Chefs des Corleone-Clans, Salvatore Riina, genannt »Toto«, am 15. Januar 1993 in Palermo war ein gewaltiger Schritt nach vorn im Kampf gegen die Mafia. Der mächtigste Mann des Untergrunds hatte zwanzig Jahre lang im Verborgenen gelebt und sogar seine Heirat und die Geburt seiner Kinder geheimgehalten. Gegen ihn lagen neun Haftbefehle vor, außerdem war er bereits in Abwesenheit zu lebenslänglicher Haft verurteilt worden. Der Schlag, den seine Festnahme auslöste, und die plötzlichen Geständnisse etlicher Unternehmer und reuiger Politiker führte dann zu einer Reihe von Selbstmorden, die heute noch in aller Munde sind.
Im November 1993 schließlich wurde der verbissene Mafiagegner Leoluca Orlando mit überwältigender Mehrheit (75% der Stimmen) zum Bürgermeister von Palermo gewählt, nachdem dieser von seinen christdemokratischen Parteifreunden fallengelassen worden war und er daraufhin eine eigene Partei gegründet hatte.
Weitere Etappensiege für die Mafiagegner: 1995 wurde Leoluca Bagarella, der Schwager von Riina und selbst ein wichtiger Drahtzieher der Mafia, verhaftet; seit 1996 sitzt auch der berüchtigte Boss Giovanni Brusca im Gefängnis. Er war an dem Attentat gegen Falcone persönlich beteiligt und soll den minderjährigen Sohn seines Gegners Di Matteo grausam ermordet und in Säure aufgelöst haben.
Ebenfalls 1996 erfolgte die Verurteilung Bruno Contradas zu zehn Jahren Haft wegen Unterstützung der Cosa Nostra: dieser hatte zwei Jahrzehnte lang, bis zu seiner Verhaftung 1992, als prominentester Mafiajäger gegolten.
Die Polizei fahndet noch immer fieberhaft nach Bernardo Provenzano, einem der wichtigsten Bosse, der sich seit Jahrzehnten ein Katz-und Maus-Spiel mit den Gesetzeshütern liefert. Sein einstiger Mafia-Vorgesetzter sagte übrigens über ihn, er schieße zwar wie ein Gott, besitze aber das Hirn einer Henne...
Neben den Verhaftungen sind auch andere Mittel denkbar, um gegen das Krebsgeschwür Süditaliens vorzugehen. 1995 machte der italienische Finanzminister mit seinem Vorschlag von sich reden, wie man Mafia und Camorra durch Entzug der finanziellen Basis ausrotten könnte: indem man deren bisher illegalen Wetten und Lottospiele legalisiert und damit gleichzeitig eine Geldquelle für die Sportverbände, z.B. das nationale olympische Kommitee, erschließt.
Bislang scheint die Zusammenarbeit zwischen den »Maulwürfen« innerhalb der Staatsorgane sogar die Geheimdienste sind betroffen, wie der Fall Contrada zeigte! und der Unterwelt zu funktionieren: noch 1994 wurden in Catania fünf Polizisten, ein Carabiniere und ein Feldwebel der Finanzwache wegen Begünstigung der Cosa Nostra verhaftet, auf deren Honorarliste sie schon geraume Zeit gestanden hatten. Sie unterrichteten Mitglieder des Clans jahrelang über bevorstehende Justizaktionen. Wie meinte Nitto Santapaola, Catanias mächtigster Boß, doch so treffend: »Die Bullen? Na ja, sie kosten mich eine Stange Geld, aber sie achten mich.« Man darf also gespannt in die Zukunft schauen ...